Artikel aus dem Hope Magazin

28.01.2020

Denn die Dunkelheit ist gewichen …

Hoffnung stiften

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Es war so kalt, dass selbst der Atem gefror und so verschneit, dass der Horizont kaum auszumachen war. Doch die Hunde rannten und zogen den Schlitten über das Eis. Auf ihm saß John Sperry. Er hatte in den 1950er-Jahren seine gesicherte Zukunft in England aufgegeben, um nun als Jäger, Schlittenführer und Pastor in einem Dorf nördlich des Polarkreises zu leben. Von hier aus unternahm er regelmäßige Routen auf Hundeschlitten, um die Botschaft von einem guten Gott in die barbarische Einöde der
Inuit hinauszutragen. 

Komfort war ein Fremdwort, genauso wie Baum, Schaf, Acker und Liebe. Allein die Ortsnamen erzählten endlose, leidvolle Geschichten: "Hungerbucht", "Insel der Trostlosigkeit" und "Hafen der hohlen Wangen". Hoffnung kannten sie nicht, nur das Schicksal. Und das war grausam, ebenso wie manche Riten und Gebräuche. Die unberechenbaren Geister waren überall und versetzten die Inuit in ständige Angst. Dunkelheit herrschte nicht nur im Winter. 

Völlig unverfroren 

Sperry kämpfte tapfer mit den Hunden, der Kälte und dem Tod, um den liebenden Gott im Polarkreis bekannt zu machen. Er arbeitete 19 Jahre lang an der »Eis-Front« und wurde später zum dritten Bischof der Arktis berufen. "Hat es sich gelohnt?", fragt er sich in seinem Tagebuch. »Ich kann mir nach all diesen Jahren Missionsarbeit unter den Eskimos nichts Sinnvolleres vorstellen, als ihnen zu zeigen, wie die Kenntnis des lebendigen Gottes sich in ihrem Leben auswirken kann. Die abgrundtiefe Angst, die finsteren Schatten weichen allmählich aus ihren Gesichtern, werden durch neue innere Freiheit ersetzt, die sie vorher nicht kannten. Ein Jäger sagte zu mir: "Bevor ihr gekommen seid, war der Weg dunkel und wir lebten in Angst. Aber jetzt haben wir keine Angst mehr, denn die Dunkelheit ist gewichen und alles ist hell, weil wir den Jesusweg gehen." (Vollkommer, 2019, S. 210)

Heldensterben

Heute sehen wir die Welt natürlich nicht mehr so romantisch und verklärt wie damals im letzten Jahrhundert. Wir sind abgeklärt und natürlich auch aufgeklärt. Wir wissen zum Beispiel, das Wort "Eskimo" ist politisch nicht korrekt. Sperrys Welt ist längst getaut, die traditionelle Lebensweise der Inuit wird kaum noch aufrechterhalten, die Zivilisation hat sie längst eingeholt, samt Motorschlitten. Und wir glauben zu wissen, dass die Menschen in den Reservaten dort nicht mehr mit den bösen Geistern kämpfen, sondern eher mit Hochprozentigem und hohen Selbstmordraten. Da hilft auch kein Held auf dem Hundeschlitten mehr. 

Weltuntergang 

Doch nicht nur die ursprüngliche Welt der Inuit geht unter. Auch unsere gerät zunehmend aus den Fugen. Die Kehrseite der Zivilisation hat auch uns längst eingeholt. Die Probleme ähneln sich. So haben wir zwar in der Regel keine Angst mehr vor bösen Geistern, doch generelle Angststörungen nehmen zu. Sie zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, so das Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Statistisch ist also jeder vierte Bürger einmal im Leben davon betroffen. Keine psychische Störung wird in Deutschland häufiger diagnostiziert: Angst als Volkskrankheit Nummer 1.

Und wenn wir ehrlich sind, dann haben auch wir ein Alkoholproblem. In Deutschland sterben pro 100.000 Einwohner 16 an den Folgen von Alkohol, so der renommierte Alkoholforscher Prof. Dr. Helmut Seitz. Damit liegen wir mit einigen osteuropäischen Ländern an der Spitze, weit vor unseren Nachbarländern wie Italien, Spanien und Frankreich. 

Unsere Selbstmordraten sind ebenso besorgniserregend. Es sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Morde und Aids zusammen. Zusätzlich werden mehr als 100.000 Suizidversuche pro Jahr unternommen. Am häufigsten versuchen junge Frauen eine Selbsttötung, berichtet der Verein Pro Psychotherapie e. V. Die Dunkelziffer ist enorm hoch.

Auch unsere Traditionen verfallen zusehends. Dirndl gibt nur noch zum »Wasen«, Mundart stirbt aus, regionales Essen wird von McDonalds und Vapiano verdrängt. Die Familie wird kleiner, instabiler und diverser. Ebenso geht es den Parteien und Großkirchen. Das christliche Abendland vergisst seine geistesgeschichtlichen Wurzeln. 2018 war das Jahr mit den zweitmeisten Kirchenaustritten seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die leeren Kirchengebäude müssen verkauft werden und feiern dann evtl. einen Relaunch als Fitnessstudio, wie neulich in den Niederlanden. 

"Wir schaffen das!"

Wir stecken in der Krise und probieren uns an verschiedenen Lösungen. Die reichen von wohlklingendem Optimismus ("Wir schaffen das!"), über nüchternes Versachlichen ("Houston, wir haben ein Problem!") bis zum gepflegten Zynismus ("Man lebt nur zweimal."). Neben der beliebten Vogel-Strauß-Taktik (»Ich bin dann mal weg!«) stehen neuerdings die Selbstüberschätzung ("Wir sind besser als ALDI anderen!") ebenso wie grenzenloses Selbstbewusstsein ("Wir können alles. Außer Hochdeutsch.") hoch im Kurs. Ganz bewährt sind auch der Pragmatismus ("Geh mir ein wenig aus der Sonne!") und die Naivität ("Wo sind all die Blumen hin?"). Aktuell ist gerade bei der Jugend der Aktivismus besonders attraktiv ("Fridays for Future."), der für eine bessere Zukunft kämpft. 

Doch ist diese Welt wirklich noch zu retten? Schaffen Prominente wie Angela Merkel, Hape Kerkeling und Greta Thunberg das wirklich? Spätestens nach Tim Bendzkos Lied "Nur noch kurz die Welt retten" wissen wir, dass die Zeit der Helden längst vorbei ist und lächeln müde über den bloßen Versuch. Weltverbesserer landen gewöhnlich im Burnout, oder schlimmstenfalls in der Psychiatrie. Auch die Politik wird oft mehr vom Lobbyismus als von nachhaltiger Weltgestaltung geprägt. 

Leben zwischen Aufklärung und Romantik

Wir müssen uns deshalb ehrlich fragen: Wie sollen wir denn leben, angesichts der Krisen, wenn auch die Rollen »Held« und »Weltverbessererin« nicht wirklich taugen? Dazu muss man das Unausweichliche gelassen akzeptieren können, das Mögliche nach Kräften generieren und dabei ebenso abgeklärt wie romantisch denken – nämlich hoffnungsvoll. Wäre das nicht einen Versuch wert? Hoffnungsvoll leben, bedeutet nicht, ein unverbesserlicher Optimist zu sein oder den Kopf in den Sand zu stecken. Hoffnung bringt proportionale Verzerrungen des Selbstbildes wieder ins rechte Maß, treibt den Pragmatiker an und lässt den Naiven reifen. Und hoffnungsvolle Aktivisten sind sanftmütig und wissen um ihre Grenzen.

Vor allem als Christin möchte und kann ich hoffnungsvoll leben, denn Jesus hat eine Zukunft verheißen, die über den Horizont dieser Welt hinausgeht. Er wird einmal eine neue Welt schaffen ohne Hungerbuchten, Eiswüsten und ewige Dunkelheit: "Da wird dann kommen der Herr, mein Gott, und alle Heiligen mit ihm. Zu der Zeit wird weder Kälte noch Frost noch Eis sein. Und … es wird nicht Tag und Nacht sein, und auch um den Abend wird es licht sein." (Sacharja 14,5b–7)

Wir tun also gut daran, den "Jesusweg" zu gehen, der die Dunkelheit weichen lässt und uns hoffnungsvoll macht. Diese Lebenseinstellung hat Zukunft und Potenzial – für uns und andere. Wie Sperry können wir diese Hoffnung weitergeben. Dazu müssen wir nicht einmal bis ans Ende der Erde reisen. Heute und hier gilt es, Hoffnung zu spenden, mit Wort und Tat. Und selbst wenn es jetzt vielleicht hoffnungslos romantisch klingt: Wer Hoffnung stiftet, ist ein Held - egal ob mit oder ohne Hundeschlitten.

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Autor: Claudia Mohr

Ausgebildete Siebdruckerin, Arbeitserzieherin, Gesundheitsberaterin, Sozialpädagogin und Pastorenfrau.