Artikel aus dem Hope Magazin

28.03.2020

Eigentlich nordwärts

Familienauszeit in Skandinavien

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Von Anfang an kommt es ganz anders, als Jörg und Anja Varnholt mit ihrem Sohn Noah (6) zu ihrer Familienauszeit nach Skandinavien aufbrechen. 

 

»Mitten im Leben« haben du und deine Frau beschlossen, eine Familienauszeit zu machen. Wie ist diese Idee entstanden?

Im Jahr 2018 sind Anja und ich zusammen 100 Jahre geworden, unsere Kinder zusammen 50 und wir sind 25 Jahre verheiratet. Anstatt großer Party wollten wir eine Reise unternehmen. Uns fiel ein, dass wir noch Elternzeit für unseren jüngsten Sohn Noah »geparkt« hatte. So fassten wir den Entschluss einer gemeinsamen Familienauszeit von drei Monaten von Mai bis Juli. Als Norwegen und Skandinavien-Fans war uns auch schnell klar, in welche Richtung die Reise gehen würde. 

Für uns sollte es eine Auszeit von den alltäglich beruflichen Anforderungen sein, aber auch eine spirituelle Auszeit, in dem wir uns von Gott bewusst führen lassen wollten.

 

Was habt ihr geplant für diese Auszeit?

Die Idee war zunächst mit dem Fahrrad für drei Monate in Norwegen zu fahren. Vielleicht zum Nordkap oder auf die Lofoten. Uns wurde aber schnell klar, dass wir im Mai in Norwegen mit der kompletten Wetterpalette rechnen müssen, also auch mit Kälte und Schnee. Was für uns Erwachsene vielleicht noch nach Abenteuer klingt, ist für einen Sechsjährigen aber schnell über dem Limit. So fassten wir den Plan, von Zuhause aus nach Norwegen zu radeln. Im besten Fall bis Trondheim, der Partnerstadt von Darmstadt.

 

Warum seid ihr dann doch erst einmal mit dem Auto Richtung Norden gestartet?

Unsere alte Hündin Mette lebte noch, mit 16 Jahren war das ein sehr gutes Alter für einen großen Hund. Damit hatten wir bei den ersten Vorüberlegungen, zwei Jahre vorher, nicht gerechnet. Wir wollten sie natürlich nicht allein zu Hause lassen. Also haben wir zwei Wochen vor Reisestart umgeplant und entschieden, dass wir mit unserem Campingbus fahren und die Räder erst einmal mitnehmen. Es fiel mir aber richtig schwer loszulassen und nicht aufs Rad zu steigen. Wir hatten ja schon die gepackten Taschen in der Wohnung stehen! 

 

Wie war es dann für dich, als ihr unterwegs wart?

Wir haben dann tatsächlich keine Routen mehr geplant, sind jeden Tag mit dem Auto nur kleine Stücke und nur auf der Landstraße gefahren. Manchmal haben uns Leute gefragt, wohin wir fahren und wir konnten nur sagen »nordwärts«. Klar, irgendwann kamen wir bei Rostock am Meer an und haben uns ein Ticket nach Dänemark gekauft und sind über Dänemark, Schweden und Finnland nach etwa sechs Wochen in Nordnorwegen angekommen. 

 

Was war euch wichtig für diese Familienauszeit? 

Zum einen war es uns wichtig, offen zu sein für jegliche Begegnungen auf dem Weg – wir haben wirklich spannende Menschen getroffen. Zum andern haben wir überlegt, was wir Noah mitgeben können, bevor er in die Schule kommt. Ist es wichtig, mit ihm schon lesen und schreiben zu üben? Uns war es wichtig, ihm einen Teil der Welt zu zeigen und Begegnungen mit Kindern aus anderen Ländern zu ermöglichen. Es war schön zu sehen, wie er mit Kindern kommuniziert hat ohne eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Oder wie selbstverständlich er in der Natur unterwegs war und wir zusammen Feuer gemacht haben. 

 

Wie sahen eure Tage praktisch aus? 

Kurz gesagt aus: Frühstücken, Weiterziehen und einen neuen Schlafplatz finden. Ach ja, vielleicht zwischendurch Essen einkaufen. Wir waren natürlich ganz viel draußen unterwegs und die Tage waren angefüllt mit dem Wenigen, das wir gemacht haben. Nach vier Wochen habe ich gedacht: »Jetzt haben wir einen langen Urlaub hinter uns und noch zwei vor uns!« Aber schon eine Woche später war ich vollkommen in der Zeitlosigkeit angekommen und habe mich nur noch um das Heute gekümmert. Ich glaube, erst ab diesem Zeitpunkt war ich innerlich wirklich bereit dazu, mich führen zu lassen. 

 

Dann kam der Tag, an dem ihr von eurer Hündin Mette Abschied nehmen musstet … Wie hat das eure Auszeit verändert?

Im Norden von Finnland ging es Mette immer schlechter. In Tromsø mussten wir dann mit ihr den letzten Gang in die Tierklinik antreten – kein leichter Tag für uns. Glücklicherweise hat uns Gott auch an diesem Tag gute Menschen zur Seite gestellt. Wir mussten unser Inneres erst einmal wieder neu sortieren, haben mit unseren großen Kindern in Deutschland telefoniert und eine neue Vision bekommen: Unser großer Sohn Jannis fliegt nach Norwegen, wir treffen uns auf Höhe der Lofoten, fahren gemeinsam bis Trondheim. Dort übernimmt Jannis den VW-Bus und wir steigen auf die Räder um. Das haben wir dann auch genauso gemacht. Als er uns dann in Trondheim rausgelassen hat, war sein letzter Satz: »So, jetzt müsst ihr auch mal Eure Komfortzone verlassen!«

 

Hatte er Recht?

Gleich am ersten Tag: Regen, kalter Wind und steile Aufstiege der Kategorie »Absteigen und Schieben«. Es war auch nicht immer leicht auf Anhieb einen geeigneten Schlafplatz für unser Zelt zu finden. Das Schöne war aber, dass wir sehr schnell gemerkt haben, mit wie wenig man eigentlich auskommen kann. Es ist nicht das »Haben«, was uns glücklich macht. Wir haben gemerkt, dass Besitz belasten kann, wir hatten nämlich beim Umpacken vom Auto auf die Fahrräder einfach zu viele Sachen dabei. Einen Teil davon haben wir dann als Päckchen nach Hause geschickt – ein Akt der Befreiung. 

 

Ihr habt sogar ein Buch über eure Reise geschrieben; was waren für dich besondere Highlights?

Auf jeden Fall die Begegnungen mit Menschen, mit einigen von ihnen haben wir jetzt noch sehr intensiven Kontakt. Für mich war es immer wieder toll zu sehen, wie spontan und konkret Noah gebetet hat, wenn wir etwas brauchten. Während ich meistens überlegt habe, wie können wir das Problem lösen, hat er immer gesagt: »Lass uns erstmal beten!« Und ob es um einen Schlafplatz, eine gebrochene Speiche oder sonst etwas ging, seine Gebete sind immer genauso konkret erhört worden.

 

Was ist dir persönlich wichtig geworden?

Das Hinhören und Mich-führen-Lassen war für mich ein Lernprozess, auf den ich mich immer wieder gerne einlassen möchte. Eine Begegnung mit mir selbst und mit Gott hängt nicht davon ab, wie gut ich geplant habe oder wie gut meine Ausrüstung ist. Sie hängt viel mehr von meiner inneren Einstellung und dem Loslassen von »Ballast« ab. 

 

Das Gespräch führte Gabi Pratz.

Autor: Gabi Pratz im Interview mit Jörg Varnholt