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01.09.2024

Der Mensch – ein homo communicans

Warum gelingende Kommunikation ein lebenslanger Prozess ist

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Wann genau wir anfangen, zu kommunizieren, lässt sich schwer sagen. Genau genommen ist schon der Zeugungsakt ein Vorgang der umfassenden Kommunikation. Wenn Eltern zärtlich über den Schwangerschaftsbauch streicheln und ein kleiner Fuß von innen zappelnd antwortet, dann ist das Kommunikation, auch ohne Worte.

Neulich befragte ich ein Kind, welches Fach in der Schule es am liebsten mag: „Rechnen“ kam zur Antwort. Ich schielte zur Mutter: „Von wem du das wohl hast?“. Die Antwort des Kindes: „Natürlich von Frau Knopf, meiner Lehrerin.“ Mit diesem kleinen Beispiel lassen sich bereits mehrere wichtige Erkenntnisse gewinnen. 

  • Es gibt verbale (Worte und Sprache) und non-verbale Kommunikation (Gesten, Blicke, Körperhaltungen, Blickrichtungen, Berührungen etc.). Mein Schielen zur Mutter verlagerte auch die Kommunikation unstatthaft vom Kind zur Mutter. Ich hatte im sogenannten Sender-Empfänger-Modell den Empfänger ausgetauscht. 
  • Im bekannten Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun (vier Ohren)1 war der Sender (ich) im Beziehungsmodus, das Kind aber im Sachmodus. 
  • Klar ist auch, dass der Anspruch, klar zu kommunizieren, hier auf die Herausforderung stößt, dass es unterschiedliche Entwicklungsstufen zu beachten gilt. Hier das sechsjährige Kind und zwei Erwachsene.

Klarheit ist ein Näherungswert Wir alle sind schon von Missverständnissen in unangenehme Situationen gebracht worden, denn klare Kommunikation ist leichter gesagt als getan. Was, wenn mein Gegenüber ein zweijähriges Kind ist oder jemand, der gerade seinen ersten Deutschkurs absolviert hat? Was, wenn in der Poesie oder auch Lyrik die Sprache zum Instrument wird, das nicht nur Informationen vermitteln soll, sondern eine Stimmung, ein Gefühl oder eine Ästhetik? Klare Kommunikation wird keine Weltliteratur hervorbringen. 

 

Ein ständiger Lernprozess

Dann stellt sich auch die Frage, mit wem ich überhaupt kommuniziere. Stehe ich vor einem Publikum oder vor einem Kind? Rede ich mit einem Freund oder einem Kunden? Ist mein Gegenüber gesund und klar oder dement und hinfällig? Kommuniziere ich vielleicht gerade mit mir selbst, meinen Gedanken und Gefühlen? Oder als höchste und damit unbegreiflichste Form der Kommunikation: ist mein Gegenüber Gott, im Gebet oder in der Stille? 

Jede Situation wird mich anders kommunikativ fordern bzw. von mir verlangen, dass ich mich, in einen ständig neuen Lernprozess begebe. Wer bewusst kommuniziert, wird diese Lernerfahrungen dankbar annehmen und seine Fähigkeiten auszubauen versuchen. Im Hintergrund wirken dabei unterschiedlichste Faktoren, die wir mitbringen: der kulturelle oder sprachliche Hintergrund, der Bildungsstand, die Persönlichkeit, die Tagesform. All das bestimmt, ob ein kommunikativer Prozess leise und respektvoll oder laut und gewaltvoll abläuft. Kommunikation trägt also alle Eigenschaften in sich, die Menschsein ausmachen: sie kann uns zum Lachen bringen oder zum Weinen; sie kann aufbauen oder zerstören; sie kann uns liebevoll machen oder unbarmherzig. 

Nach 30 Jahren als Ehepartnerin, Mutter und vielen Jahren als Familientherapeutin in der Jugendhilfe muss ich mich immer wieder diesen Lernprozessen stellen. Wo es nicht stattfindet, werden zerstörerische Verhaltens- und Kommunikationsmuster unfreiwillig an die nächste Generation durchgereicht. Der Fachbegriff für dieses Phänomen lautet „transgenerative Traumata“. Das Erschreckende daran ist also, dass es nicht nur um mein eigenes Wachstum oder meine Lernwilligkeit geht. Im Anschluss an den Satz, dass nicht zu kommunizieren nicht möglich ist, gilt auch hier: nichts weiterzugeben ist auch nicht möglich. 

Was gute Kommunikation hindert

Intuitiv wissen wir vielleicht schon, was die Brocken sind, die auf dem Weg der Kommunikation den Durchgang versperren können. Hier sind ein paar der üblichen Verdächtigen:

  • Recht haben. Wir alle kennen hitzige Debatten, ob im normalen Familien- und Ehealltag, oder bei politischen Diskussionen mit Freunden oder gar religiösen Themen wie der Wahl, ob ich mich für Android oder iOS entscheide. Die innere und natürliche Zielsetzung, mit dem nächsten Satz das schlagende Argument für den Etappensieg zu liefern, lässt mich gar nicht mehr zuhören. Da es um gewinnen und verlieren geht, nutze ich die Zeit zum Laden der nächsten kommunikativen Kanonensalve, während sich die Lippen des Gegenübers noch bewegen.  
  • Angst. Besonders die Schüchternen unter uns wissen, wie hinderlich es sein kann, wenn ich mich ständig fragen muss, wie meine Worte wirken könnten, welcher Eindruck durch meine Worte entsteht, ob ich – zum Beispiel beim Gespräch mit der Chefin – jetzt Nachteile in Kauf nehmen muss oder der reizbare Nachbar wieder in den Choleriker-Modus verfallen wird. Angst hemmt echte Kommunikation, weil Angst ein Hemmgefühl ist. 
  • Fehlende Resonanzfähigkeit. Im Englischen redet man davon „den Raum zu lesen“ (reading the room). Wie ausgeprägt sind meine Antennen für Stimmungen, Andeutungen oder unausgesprochene Gefühle? Für Schwingungen, die leise ertastet werden müssen? Wir kennen das aus Tatort-Folgen: das Kind, das Schlimmes erlebt hat und jetzt davon berichten soll. Der Polterkommissar mit seiner Aufklärungsagenda kommt meist nicht weiter, die Kinderpsychologin versucht, in Resonanz zu gehen. Resonanz kann eine Gabe sein, sie darf aber auch gerne erlernt werden. 
  • Fehlendes Interesse. Schon jemals den Fehler gemacht, Männer auf ihr Hobby anzusprechen, um dann festzustellen, dass es Langweiligeres nicht gibt, als nun detailreiche Ausführungen über verschiedene Eisenbahnspurbreiten über sich ergehen zu lassen? Vielleicht wäre es hier weise, einen diplomatischen Ausgang aus der Konversation zu suchen, mutig zu sagen: „Eigentlich interessiert mich, wie es dir gerade damit geht, dass ...“ Voraussetzung ist, dass es mich interessiert. 
  • Zeit, bzw. der Mangel daran. Zwischen Tür-und-Angel-Konversationen können gerade mal sachdienliche Hinweise liefern (Bring Brötchen mit!). Viel länger sollte die Liste aber auch nicht sein. Um tief(er)gehende Sachverhalte auszutauschen oder ein echtes Miteinander zu erleben, braucht es den Raum und die Zeit, die dafür geschaffen werden wollen. 
  • Selbstdarstellung. Erst im Laufe meines Lebens habe ich immer öfter nach Gesprächen festgestellt, dass ich zu einer Art Quizmaster mutiert war. Ich habe Interesse gezeigt und Fragen gestellt. Mit Begeisterung wurden diese beantwortet. Dann Stille, bis ich mir eine neue Frage ausdachte. Peinlich wurde es, wenn mir die Fragen ausgingen. Meine Gesprächspartnerin wähnte sich offenbar als Promi in einem Interview, bei dem ich durch mein Interesse und meine Fragen die Bühne bot. Erst nach einiger Zeit fiel mir auf: an mir bestand kein Interesse. Mir wurde keine Frage gestellt. Zum Beispiel ganz banal, wie es mir geht. 
  • Bildungsunterschiede. Sicherlich denkt man hier direkt an Schulbildung oder akademische Abschlüsse. Das alles wird sich sprachlich niederschlagen. Aber es geht auch um die Herzensbildung. Kommunikation ist dann auf einem guten Pfad, wenn beide Seiten das Gefühl echten Wohlwollens haben, das sich in ungeheucheltem Interesse ausdrückt.

Zu diesen subtilen Kommunikationskillern gesellen sich mittlerweile durch Internet und soziale Medien Phänomene menschlicher Niedertracht. Bewusste Lügen oder Desinformation missbrauchen die Empfänger für die eigenen Ziele. Wir werden manipulativ in einen Empörungs- oder Begierde-Modus versetzt, um entweder das Kreuz an der (meist falschen) Stelle zu machen oder das (meist unnötige) Produkt zu erwerben. Gelungene Kommunikation ist es aber erst dann, wenn ich auch im Nachgang finde, dass die Erfahrung und das Resultat für beide Seiten ein erfolgreicher Ausgang waren.

Die sichere Bindung

Wenn Kommunikation gelingt, dann führt sie immer zu einem Gefühl, dem wir ein Leben lang nachstreben: eine sichere Bindung. Kein Mensch ist eine Insel, dichtet John Donne, um damit das Gegenteil sagen zu wollen, nämlich: vitales Leben findet immer in sicheren Verbindungen statt. Zunächst mit Eltern. Schon Säuglinge sind in der Lage, den Gesichtsausdruck ihrer Bezugspersonen zu werten und einzuschätzen, ob sie gerade in Sicherheit sind oder bedroht werden. Umgekehrt merkt der Säugling seine Selbstwirksamkeit, wenn seine Kommunikation (zum Beispiel ein Muckeln oder Schreien) gehört und darauf eingegangen wird. 

Kommunikation ist also eine wesentliche Zutat für das elementare Lebensgefühl der sicheren Bindung, des Angenommenseins und der Geborgenheit. Wir erleben diese Verbindung mit Menschen, mit der Natur oder mit Gott.

Das Ziel von Kommunikation

Man könnte meinen, der Zweck guter Kommunikation sei das Überleben. Wenn ich in der Lage bin, beim Bäcker zu sagen, was ich haben will, werde ich nicht verhungern. Das ist aber sehr kurz gegriffen. Zum Menschsein gehört das Streben danach, geliebt zu werden. Das setzt die eigene Liebesfähigkeit voraus. Lebensdienliche Kommunikation wird sich diesem Ziel verpflichtet fühlen und dafür auch die Mühe des Lernens in Kauf nehmen. Dieses Lernen sollte zu einem bewussten Vorgang werden. Es beginnt zum Beispiel damit, dass ich mich frage, welchen guten Vorbildern ich nacheifern will, wer gute KommunikatorInnen für mich sind. Es beinhaltet, dass ich Gespräche noch einmal Revue passieren lasse (gerne auch mit einer dritten Person), um einzuschätzen, was mir auffiel. Es erfordert, dass ich für gute Kommunikation manchmal lernen muss, den Mund zu halten und wirklich zuzuhören, höchstens mal nachzufragen. 

Dem tschechischen Langstreckenläufer und mehrfachen Olympiasieger Emil Zatopek verdanken wir den Sinnspruch „Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.“ Der Mensch ist aber nicht nur aufrecht laufend (homo erectus) oder wissend (homo sapiens), sondern in erster Linie ein homo communicans, ein kommunizierendes Wesen. Das macht unsere Menschlichkeit aus. Gute Kommunikation ist gutes Leben. Daher beginnt das Johannesevangelium mit den Worten: Am Anfang war das Wort und fährt dann fort: Das Wort wurde Fleisch: Vitales, kraftvolles, glückspendendes Leben.

 

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Autor: Gunda Meier

arbeitet als systemische Familientherapeutin in der Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg. Ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Artikel-Bildnachweis: miodrag ignjatovic– gettyimages.de