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08.10.2025

Enttäuschtes Vertrauen!?

An den Brennpunkten des sozialen Miteinanders

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„Da hast du dir jemand richtig zum Feind gemacht! Wenn er über dich spricht, lässt er kein gutes Haar an dir!“ erklärte mir ein wohlmeinender Freund und hatte keine Ahnung, wie sehr mich diese Worte aufwühlten. Ich war damals Mitte Zwanzig und hätte mir nie erträumt, dass jener Jemand schlecht über mich dachte. Denn ich hingegen hatte eine hohe Meinung von ihm, zudem begegnete er mir normal, ja sogar freundlich.

In mir keimte ein utopischer Entschluss auf: Ich wollte ab jetzt alle psychologischen Ratgeber verschlingen, derer ich handhab wurde, um zukünftig jede Kritik parieren zu können. So würde ich so schlau werden, von nun an alles richtig zu machen, damit mir niemand mehr etwas anhaben konnte und ich über jede Kritik erhaben sei. Auf die Idee, mit besagtem Jemand ein Gespräch zu suchen, kam ich nicht. Und meine Vorhaben scheiterten kläglich.

Jahrelang begleitete mich dieses unangenehme Wissen. Wenn ich dieser Person begegnete, war sie stets freundlich, ich aber wusste nach wie vor, dass sie schlecht über mich gedacht und geredet hatte. Vielleicht tat sie es immer noch?

Rückblickend wurde mir bewusst, dass es keine gute Idee war, dass mir mehr als zwei Jahrzehnte lang der Mut fehlte, diese Sache anzusprechen. Denn es nährte ein grundsätzliches Vertrauensproblem in mir. Wenn ich diesem einen freundlichen Gesicht nicht trauen kann – kann ich dann überhaupt jemand vertrauen?

Im Vertrauen gesagt – im Vertrauen weitererzählt

Oft erzählen mir Menschen, wie wichtig es ihnen ist, vertrauen zu können – und wie weh es tut, wenn sie feststellen, dass ihr Vertrauen enttäuscht wurde, weil „im Vertrauen“ gesagte Dinge weitergetragen oder hinter ihrem Rücken geredet wurde. Ich kann sie verstehen. Das tut weh. Mancher zieht sich dann verletzt in sein Schneckenhaus zurück. Allerdings wird er dort feststellen, dass das auch keine Lösung ist.

Manchmal erlebe ich, dass Menschen, die an Gott glauben, mit dem Hinweis zu trösten versuchen, dass Menschen immer enttäuschen würden, Gott aber nie, man solle sich also einfach an ihn halten, sich an ihm freuen. Hauptsache, man habe ihn und gut. Das ist sicher nicht falsch, aber machen wir Christen es uns da nicht ein wenig zu einfach?

Gott selbst hat damals im Paradies, nachdem er alles andere für gut befunden hatte, die Tatsache, dass Adam noch allein war, als nicht gut erklärt. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei!“, sagte er und schuf Eva. So bekam Adam einerseits eine Frau, andererseits auch ein Gegenüber, einen und später weitere Menschen an seine Seite.

Der Mensch braucht andere Menschen um sich

Menschen sind soziale Wesen. Um normal funktionieren zu können, brauchen wir andere, wir müssen miteinander reden, uns austauschen und am Leben anderer Anteil haben und sie in unser Leben, in unseren Alltag hineinnehmen. Diese Tatsache will Gott nicht ersetzen, dafür erklärt er sich nicht zuständig. Offenbar will er unsere sozialen Bedürfnisse nicht allein abdecken. Leider aber sind Menschen einander nicht nur Quelle von Freude, sondern auch von Leid. Das Leben könnte so schön sein, wenn es die anderen nicht gäbe, sagt ein launischer Spruch.

Kürzlich bin ich über einen Bibeltext gestolpert, der mich seither davor bewahrt, in Selbstmitleid zu versinken, wenn jemand mein Vertrauen missbraucht. Dieser Bibeltext machte mich auf einen blinden Fleck aufmerksam, der vermutlich nicht nur mich plagt. Im alttestamentlichen Buch Prediger oder Kohelet im Kapitel 7 Vers 21-22 (NLB) heißt es:

Kümmre dich nicht um die Gerüchte, die hinter deinem Rücken erzählt werden. Sonst musst du vielleicht irgendwann mitanhören, wie dein eigener Diener Schlechtes über dich redet. Denn du weißt genau, dass du selbst oft genug Schlechtes über andere verbreitet hast.

Au weh, erwischt. In heutige Sprache übersetzt, höre ich folgenden Rat: „Reg dich nicht auf, du machst das doch genauso!“

Ich bin Teil des Problems – und Teil der Lösung!

Das gefällt mir so an der Bibel, dass ich immer wieder Stellen finde, die mir helfen, mich bei meiner eigenen Nase zu packen und mich darin zu üben, Dinge umfassend zu durchdenken, statt einseitig zu werden.

Sich einzugestehen, dass ich selbst keinen Deut besser bin als andere, sondern ebenso verletze, wie ich verletzt werde, ist eine wichtige Erkenntnis. Ich bin Teil des Problems. Darin steckt eine zweite wichtige Erkenntnis: Ich bin auch Teil der Lösung. In seiner berühmten Predigt am Berg drückt Jesus es sinngemäß wie folgt aus (siehe Matthäus 7,12, eigene Übertragung): Geh so mit den anderen um, wie du wir wünschst, dass sie mit dir umgehen. Wenn ich mir also ein Lächeln wünsche, dann kann ich dich anlächeln – und wahrscheinlich lächelst du zurück. Ich kann dir eine Freude machen, ich kann dich ermutigen, ich kann dir etwas Nettes sagen.

Auch Vertrauen ist keine Einbahnstraße, ich kann damit anfangen, mich selbst vertrauenswürdig zu verhalten. Mahatma Ghandi hat das von Jesus ausgedrückte Prinzip so formuliert: Sei du die Veränderung, die du dir in der Welt wünschst.

Was denke ich über andere?

Es waren wohl 25 Jahre vergangen, bis ich endlich beschloss, meinen Jemand auf die Sache anzusprechen. „Vor vielen Jahren,“ so erzählte ich „wurde mir gesagt, dass du dich sehr kritisch, ja feindlich über mich geäußert hast. Was war da los?“ Er sah mich mit einem wissenden Lächeln an und meinte, dass wäre damals der pure Neid gewesen, da ich mich sehr leichttat, Freundschaften zu Mädchen zu knüpfen, was ihm hingegen sehr schwergefallen sei. Endlich war es raus und es war gar nicht so schlimm. Das nächste Mal, so nahm ich mir fest vor, spreche ich solche Dinge früher an. Und ein weiterer Gedanke kam mir in diesem Zusammenhang in den Sinn: Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, was andere über mich denken, sondern vielmehr das, was ich über andere denke?

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Autor: Oliver Fichtberger

... ist glücklich verheiratet und wohnt mit seiner Frau Berit im österreichischen Weinviertel. Die beiden haben drei erwachsene Kinder. Oliver betreut als Regionalleiter die Pastoren im Osten Österreichs und ist Ansprechpartner für Anliegen der adventistischen Kirchengemeinden in der Region.

Artikel-Bildnachweis: Anna Frank - gettyimages.de