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28.01.2020

Hemd gegen Hose

Manche Dinge aus der Kindheit bleiben gut im Gedächtnis, z. B. die Geschichte meiner wehrhaften Hemden.

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Egal wie ich sie in die Hose stopfte, es dauerte nicht lange, da waren sie schon wieder draußen. Vorne passte alles, aber hinten, dort wo ich es nicht sehen konnte, schlich es sich heimtückisch nach draußen. »Stopf dein Hemd in die Hose!« war eine Zeit lang der Satz, den ich damals wohl am meisten zu hören bekam. Und obwohl meine Mutter die Hemden hinten vorsorglich um 10 cm verlängerte, hingen sie zu ihrem Leidwesen jetzt nur noch weiter über die Hose! ...

Ach, warum bin ich nicht später geboren. Hemd über Hose ist ja heute cool – genauso wie zerrissene Jeans, die meine Mutter damals mit aller Kunst wieder in Ordnung brachte. So verändert sich alles und zwar nicht nur das Tragen und Aussehen der Hemden und Hosen. Kaum etwas bleibt vor Veränderungen bewahrt. Das ist nun mal der Lauf der Dinge und der Fortschritt verlangt Anpassung. Also passen wir mal ... 

Und damit man weiß, was in ist, gibt’s die Modeschöpfer, die Trendsetter und findige Geschäftsleute, die uns liebend gern helfen, immer »in« zu sein. Wen’s stört, der muss ja nicht mitmachen. Niemand schreibt mir vor, dass ich mein 20 Jahre altes Sakko nicht mehr tragen darf. Also passt doch alles. Na ja, solange es um solche Dinge wie Kunst, Kultur oder Freizeit geht, mag das ja durchaus ok sein. Auch was die Technik betrifft, können wir uns glücklich schätzen, nicht irgendwo im Mittelalter stecken geblieben zu sein. Wenn es aber um echte Werte geht, Eigenschaften, die es wert sind, so genannt zu werden, dann hört der Spaß auf. Wenn Treue oder Ehrlichkeit eine ähnliche Halbwertzeit wie Produkte bekommen, wird es wohl kritisch. Wenn Hilfsbereitschaft und Zivilcourage zum alten Eisen geworfen werden, dann wird es ungemütlich und sogar gefährlich.

Vermutlich war es früher gar nicht so viel besser, denn so eine tolle Welt haben die Älteren den Jungen auch nicht unbedingt hinterlassen. Die Beständigkeit war nicht selten sogar ein Nachteil, nämlich dann, wenn man sie im Unrecht gepflegt hat. Also besteht noch Hoffnung auch in unserer schnelllebigen Zeit: Wenn wir Trends nicht blindlings hinterherlaufen, sondern hinterfragen und sie möglichst rasch verwerfen, wenn dabei unsere Menschlichkeit auf der Strecke bleibt. 

Lassen wir unser Hemd also ruhig draußen hängen, aber tragen wir mit unserer Liebe und Freude zu einer friedlicheren Welt bei, und üben uns in Geduld darin (siehe Galater 5,22).

Bild vom Autor zum Weblog Hemd gegen Hose

Autor: Pierre Intering

Chefredakteur

Artikel-Bildnachweis: Albert Gruber