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01.03.2023

Mut zur Lücke

Warum Veränderungen zum Leben gehören

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Vorsicht Lücke

„Bitte beachten Sie beim Aussteigen die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante!“ An diese Lautsprecheransage in der Berliner U-Bahn kann ich mich gut erinnern. Ich war im Sommer 1983 gerade als jung verheirateter Ehemann und neu angestellter Jugendpastor mit meiner Frau von Darmstadt nach Berlin gezogen. Wichtig war der Hinweis: „Achte auf die Lücke beim Aussteigen!“ entlang einiger gekrümmter U-Bahnhöfe, wo der Abstand zwischen Zug und Bahnsteig etwas größer sein konnte. Heute, nachdem ich seit meiner Geburt bisher neunmal innerhalb Deutschlands umgezogen bin und auch viele weitere Übergänge, Umbrüche oder Veränderungen im Privaten wie im Beruflichen erlebt habe, stelle ich fest, dass die Aussage „Beachten Sie die Lücke!“ nicht nur beim Aussteigen aus der U-Bahn hilfreich ist. Viele haben schon diese Lücken im Leben verspürt, die wir bewältigen und überwinden müssen, wenn wir Altes zurücklassen und Neues beginnen. 

Veränderungen gehören zum Leben

„Nichts ist im Leben beständiger als die Veränderung.“ Es wäre großartig, wenn diese Umbrüche kurz und schmerzlos wären. Der Begriff „Umbruch“ deutet jedoch darauf hin, dass nicht immer alles so einfach ist, wie wir es uns erhoffen. Veränderungen sind oft weniger Einzel-
aktionen. Sie sind eher Prozesse und brauchen zusätzliche Zeit und unsere Kräfte. Wir können sie gut mit einem achtsamen Sprung aus der U-Bahn hinaus auf den Bahnsteig vergleichen. Nur dauern unsere Veränderungsprozesse im Leben länger an. Wir scheinen für einige Zeit in der Luft zu schweben – völlig ohne Bodenhaftung! Viele berichten, dass sich dieser Sprung vom Bekannten ins Neue wie in Zeitlupe anfühlt. Unsere Gefühle und Empfindungen sind dabei oft viel intensiver, als wir uns das wünschten. Ich kenne diese komischen Gefühle, Ängste, Bilder in meinem Kopfkino. Und dann diese wilden Fragen: Wo und wie werde ich landen? 

Was sind typische Übergänge oder Umbrüche?

Es gibt viele natürliche Übergänge und Veränderungsprozesse in unserem Leben. Da ist die Kindheit und Jugend mit ihren unterschiedlichen Entwicklungsschritten. Jeder Schritt hat seine eigenen Herausforderungen. Dann die Phase des aktiven Erwachsenen. Auch hier hat das Leben viele Überraschungen: Da gibt es Veränderungen und Umbrüche in den persönlichen Beziehungen (Freundschaften, Ehe, Kinder), die unsere eigene Rolle ändern oder Brüche in der Karriere. So verlassen unsere erwachsen werdenden Kinder unsere Familie und beginnen ihr eigenes Leben. Dann die Phase des aktiven Alters mit ihren Freuden und Herausforderungen (z. B. die Situation der alten Eltern, Krankheiten und der Tod von lieben Menschen) und schließlich die Phase des eigenen Abbaus und Todes. Jede Phase und jeder Übergang in eine neue Phase bringt Umbrüche und Veränderungsprozesse mit sich. Nicht zu vergessen die sie begleitenden Gefühle, Fragen und Unsicherheiten. Wie gesagt: Nichts ist beständiger als die Veränderung! 

Wozu Veränderung?

Ohne Veränderung kein Wachstum! Wir brauchen Impulse, um uns für neue Möglichkeiten zu öffnen. Neue Situa-
tionen mit neuen Menschen ermöglichen es uns, neue, bisher verschlossene Türen zu öffnen und neue Freunde, Erfahrungen, Entdeckungen – auch über uns selbst und unsere Fähigkeiten – zu machen. So schenken uns die Veränderungen den Raum, etwas Neues (kennen-)zu lernen und dadurch unseren persönlichen Lebensschatz zu vergrößern. Diese natürlichen Zeiten des „Schwebens“ zwischen Alt und Neu schaffen oft auch Chancen dafür, dass ich mich von Gott inspirieren lasse und meinem Schöpfer und seiner Liebe vielleicht (neu) begegne. 

Zwölf Prinzipien für Neuorientierungsprozesse

Folgende zwölf hilfreiche Prinzipien sind aus den Erfahrungen von Neuorientierung- und Veränderungsprozessen von Kirchengemeinden entstanden (Sam Rainer). Ich habe sie etwas angepasst und auf meine persönlichen Umbrüche und Neuorientierungsprozesse angewendet. Vielleicht können diese Prinzipien auch Sie dabei unterstützen, wenn Sie gerade einen Umbruch gestalten wollen.

 

1. Ich bete für meinen Veränderungsprozess

Ich kann mich auf Gottes Souveränität und Kraft verlassen. Er eröffnet mir mehr Möglichkeiten als ich jemals mit eigenen Fähigkeiten erzielen könnte. Es wäre deshalb eine verpasste Chance für mich, auf Gottes Einfluss zu verzichten. 

2. Ich liebe Menschen mehr als den Wandel

Oft neige ich dazu, meine Sache so wichtig zu machen, dass Menschen und ihre Bedürfnisse auf der Strecke bleiben. Deshalb ist mir wichtig, immer wieder auf den Menschen und seine Bedürfnisse zu achten. Wie geht es mir, meiner Familie, meinen Freunden? Was brauche ich? Was brauchen sie? Was kann ich für mich und sie in diesem Augenblick tun? 

3. Ich wähle meine „Schlachten" aus

Vielleicht muss sich tatsächlich „alles“ ändern. Doch wo bleibt mein Wille zu guten Kompromissen und meine Entscheidungsfähigkeit für die richtigen Prioritäten? Oft ist ein Entweder-oder gar nicht notwendig. Ich achte auf meine gesunde Balance, beim Be- und Ergreifen des Neuen.

4. Ich gebe meine Fehler offen zu

Niemand kann alles perfekt ändern. Deshalb tue ich nicht so, als ob ich alles im Griff hätte. Es ist nicht notwendig, dass alles sofort gelingt. Ich bin bereit, meinen Umbruch und meine Neuorientierung bei Bedarf anzupassen und proaktiv zu gestalten.

5. Ich bekenne mich zu meinen Traditionen

Nicht alles in meiner Vergangenheit war schlecht. Daher kann ich positiv über die vergangene Zeit sprechen, und das, was auch heute noch gut funktioniert, auf meine neue Situation übertragen.

6. Ich baue auf Erfolge auf

Ich schenke mir selbst und anderen Anerkennung für die (kleinen) Erfolge in der neuen Situation und Umgebung. Gerade dann, wenn die Dinge anders ablaufen, als ich es früher gewohnt war.

7. Ich erlaube eine offene Diskussion

Ich halte vor mir und anderen keine Informationen zurück. Ich stelle mich den Dingen und gebe mir sowie anderen Zeit, die neuen Vorschläge zur Gestaltung zu verdauen.

8. Ich achte auf das Timing

Veränderungen sind emotional und brauchen Zeit. Ich schaffe Zeitpuffer und beachte die langfristige Perspektive. Es muss nicht alles auf einmal geschehen.

9. Ich bleibe auf den Erneuerungsprozess konzentriert

Ich lasse mich durch nichts davon ablenken, wenn eine Veränderung ansteht. Es braucht Kraft und Zeit, um an das andere Ufer zu gelangen. Es lohnt sich dranzubleiben!

10. Ich probiere Dinge aus

Bevor ich meine Komfortzone verlasse, um Neues zu entdecken, ist es hilfreich mir klar zu werden, dass die angestrebte Veränderung möglicherweise nicht von Dauer ist. Am Ende der Probezeit werde ich eine von drei Entscheidungen treffen: (1) Verlängern der Probezeit. (2) Die Änderung rückgängig machen. (3) Die Veränderung dauerhaft umsetzen.

11. Ich rechne mit Widerstand

Einige aus meinem Umfeld werden nie zufrieden sein. Ich arbeite mit denen zusammen, die bereit für Veränderungen sind und bete für die anderen und gehe liebevoll und umsichtig mit ihnen um. Ich frage mich auch: Wie will ich meinen eigenen Widerständen begegnen?

12. Ich beurteile die Veränderungen und passe sie bei Bedarf an

Nicht jede Veränderung und Neuorientierung ist gut und hilfreich. Nicht jede Veränderung wird funktionieren. Ich bin bereit, das zuzugeben und mit neuen Ideen weiterzumachen. 

Und jetzt?

Veränderungen sind Teil meines Lebens. Ich kann ihnen nicht aus dem Weg gehen. Die entscheidende Frage ist: Welchen Blick will ich einnehmen? Welche Lebenseinstellung will ich wählen?

Was machen wir mit unseren Sorgen, Ängsten, Sünden und Zweifeln? Wir können sie mit Vertrauten teilen und sie an Gott abgeben. Er möchte, dass wir unser Glück und inneren Frieden finden – das entlastet!

Übergänge, Umbrüche, Veränderungen gehören untrennbar zu unserem Leben. Wir dürfen sie mutig annehmen und proaktiv gestalten. Also, trauen Sie sich und leben Sie los!

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Autor: Bernhard Bleil

Seit 40 Jahren Pastor mit Freude und Leidenschaft. Er ist Initiator und Mitgestalter der Initiative Ja-Jesus.de und liebt besonders die Begegnung mit Menschen, die auf der Suche nach Gott und innerem Frieden sind.

Artikel-Bildnachweis: hsyncoban – gettyimages.de