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30.05.2024

VOM PESSIMISTEN ZUM OPTIMISTEN

Geht das überhaupt? Und wie?

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Als geborener Pessimist erscheint es mir manchmal, als wäre ich der Einzige dieser Art, umgeben von lauter Optimisten. Nicht nur die Politiker, sondern auch alle anderen Persönlichkeiten, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, bezeichnen sich bei Interviews und anderen Auftritten grundsätzlich als positiv denkend. Auch „Ottilie- und Ottonormalverbraucher“, denen ich im Alltag begegne, sind selbstverständlich alle durch die Bank Optimisten. Oder geben zumindest vor, es zu sein. Nun gut: Für sie ist dieser Artikel also uninteressant. Oder vielleicht doch nicht? Zumindest sollten sie über das nachdenken, was Klaus Kages formuliert hat: „Es ist keine Kunst, Optimist zu sein, sondern es zu bleiben.“ Vielleicht lesen sie dann doch weiter ...

WIR GRAUSEHER

Wie auch immer: Ich oute mich hiermit als geborenen Pessimisten. Das war mir in meinen jungen Jahren zwar nicht so bewusst, da hätte ich mich eher anders eingeschätzt. Vor allem aber der Vergleich mit meiner Frau, mit der ich seit 32 Jahren glücklich verheiratet bin, hat mir gezeigt, dass ich eher der „Halb-leer-Typ“ bin. Ganz offensichtlich bin ich so veranlagt. Immer wieder beurteile ich ein und dieselbe Situation ganz anders, als meine Frau es tut. Ich schätze Probleme in der Regel deutlich größer ein als sie. Ich mache mir grundsätzlich mehr Sorgen und das über Dinge, die zum Teil noch weit in der Zukunft liegen. Alle Pessimisten, die es vielleicht im Untergrund außer mir trotzdem noch gibt, wird die Frage interessieren, ob man an dieser Einstellung etwas ändern kann. Denn eines wissen auch wir „Grauseher“: „Für ein Optimum an Lebensfreude ist es optimal, ein Optimist zu sein.“ Lilli Kreßner

Aber was soll bzw. was kann man dagegen tun, wenn man nun einmal so veranlagt ist und es tief in einem drinnen sitzt? Aus einem Ackergaul kann man doch kein Rennpferd machen. Genauso, glaube ich, wird aus einem geborenen Pessimisten niemals ein unverbesserlicher Optimist werden. Das bedeutet aber nicht, dass Pessimismus an sich unverbesserlich ist. Wir können sehr wohl lernen! Wir können unsere Denkmuster ändern, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Wie weit wir auch immer dabei kommen mögen, es zahlt sich immer aus, da jedes Mehr an Lebensfreude, das wir dabei dazugewinnen, unser Leben bereichert. Otto Ernst verweist auf einen wichtigen Punkt, wenn er sagt: „Am Ende des Weges mag der Pessimist vielleicht Recht bekommen, aber unterwegs hat es der Optimist leichter.“

WAS KANN HELFEN?

Bevor ich hier meine Erfahrungen mit Ihnen teile, muss ich noch etwas loswerden: Ich litt mehr als dreizehn Jahre lang an leichten bis mittelschweren Depressionen, die meine pessimistische Veranlagung natürlich zusätzlich verstärkten und mir Lösungen erschwert haben. Erst als ich bereit war, professionelle Hilfe zu suchen und diese auch fand, konnte ich damit beginnen, Optimismus (wieder) zu erlernen. Das bedeutet natürlich nicht, dass jeder Pessimist gleichzeitig auch an Depressionen leidet, nein! Aber zumindest kann man sich diesbezüglich durchaus einmal hinterfragen.

Was ich Ihnen in Folge mitgeben möchte, ist das, was ich selbst erlebt habe. Dazu habe ich keinen Ratgeber gelesen, keinen Psychologen zu Rate gezogen, und sehe mich auch weder als das eine noch das andere. Ich habe schlicht und einfach für mich nachgedacht und einen neuen Weg beschritten. Dieser Weg ist noch nicht zu Ende, aber Fortschritte durfte ich schon erzielen. Bei Folgendem geht es also ganz bewusst nicht um Tipps, sondern um Erfahrungen.

ERFAHRUNG 1 – „Der größte Killer der Dankbarkeit ist die Selbstverständlichkeit.“ Hubert Joost

Pessimisten, das liegt in ihrer Natur, sehen eben nur das Schwarze oder Graue. Farbe und das, was in ihrem Leben schön ist, betrachten sie leider oft als selbstverständlich. Und damit nehmen sie es gar nicht mehr wirklich wahr. Das wiederum hat zur Folge, dass nicht die Freude ungetrübt ist, sondern das Schwarze bzw. Graue überwiegt. Ich habe daher gezielt begonnen, mir bewusst zu machen, was es an Buntem bzw. Schönem und Gutem in meinem Leben gibt, und dafür dankbar zu sein. Meine Erfahrung ist, dass sich das aber nicht nebenbei erledigen lässt. Man muss sich dafür bewusst Zeit nehmen. Als gläubiger Mensch nutze ich dafür das Gebet. Ich denke grundsätzlich zu Beginn meines Gebets darüber nach, zähle dann all die positiven Seiten meines Lebens auf und danke Gott dafür. Dann erst bitte ich um Hilfe für Probleme. Dies versuche ich jeden Tag zu tun.

 

Wenn Ihnen dieser Zugang fehlt, dann könnten Sie stattdessen einmal am Tag all das Gute, das es in Ihrem Leben gibt, auf einen Zettel schreiben. Meine Sicht auf das Leben und dessen Herausforderungen wurde dadurch eindeutig heller!

ERFAHRUNG 2 – „Ein Optimist umarmt im Winter einen Baum in der Hoffnung, er werde bald wieder blühen.“
Otto Baumgartner

Wenn ich in die Zukunft schaue, ob es der Tag ist, der vor mir liegt, oder die Woche oder das Jahr, und dann die Herausforderungen und Probleme betrachte, die sich vor mir aufzuhäufen scheinen, versuche ich mir als „Kontrastprogramm“ das vor Augen zu malen, worauf ich mich freue. In der Arbeit erwartet mich heute sehr viel Stress! Ja, aber das Wetter ist schön, ich werde also danach eine Radtour unternehmen. Und wenn ich nach Hause komme, darf ich meine Frau sehen. Ich werde uns etwas Gutes kochen und wir werden genüsslich zusammen essen. Danach werden wir es uns gemütlich machen und eines unserer Brettspiele spielen. Oder ich spiele am Computer ANNO 1800 oder lese ein Buch. Oder wir sehen unseren Enkel Felix (an dem Tag, an dem ich diesen Artikel schreibe, bin ich seit zwei Tagen frischgebackener Großvater).

Das nächste Jahr wird in meiner Abteilung im Krankenhaus sehr hart, da ein Drittel der „Frauschaft“ wegen Schwangerschaft ausfallen wird. Ja, aber ich darf mich auch auf zwei Urlaube freuen, einen Radurlaub mit meinen Radfreunden in der Toskana, in Umbrien und den Marken, und den Familienurlaub in der Bretagne. 

Vorfreude ist, so sagt man nicht umsonst, die schönste Freude. Ich muss mich aber bewusst dafür entscheiden, Tag für Tag. Dabei habe ich gemerkt, dass Probleme plötzlich einen optimistischeren Anstrich bekommen

ERFAHRUNG 3 – „Oft muss es nur genügen, Optimist für andere zu sein.“ Stefan Schütz 

Das ist eine Erfahrung, die für mich noch in der Zukunft liegt. Normalerweise fällt es auch mir, dem geborenen, aber an sich arbeitenden Pessimisten, durchaus leichter, bei anderen und für andere optimistisch zu sein. Das heißt, sie zu ermutigen, wenn sie mir von ihren Problemen und Durchhängern erzählen. Nach dem Motto: „Das wird schon, weil …“ In Zukunft möchte ich mich immer wieder daran erinnern, was ich anderen in einer ähnlichen Lebenslage gesagt habe, und es dann für mich selbst anwenden. Quasi Wasser predigen und es auch selbst trinken.

FAZIT – „Optimisten schreiten zur Tat, Pessimisten zur Ausrede.“
Marion Gitzel

Ich übe mich auch bezüglich dieses Artikels im Optimismus und freue mich darüber, dass er für Sie, liebe Pessimisten, keine vergeudete Zeit war, sondern weitergeholfen hat.

PS: Sieh mal einer an! Auch Sie, liebe Optimisten, haben den Artikel zu Ende gelesen! Was kann ich Ihnen denn in Ihren Alltag mitgeben? Vielleicht das: Haben Sie Verständnis für und Geduld mit uns Schwarzsehern. Wir bemühen uns. Und möglicherweise können Sie uns auch dabei helfen, aus Schwarz zumindest einmal Grau und irgendwann sogar Farbe zu machen.

 

Aus der Gesundheitszeitschrift "Leben & Gesundheit", mit freundlicher Genehmigung des Advent-Verlages Schweiz. lug-mag.com

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Autor: DR. MED. KARL- HEINZ OBERWINKLER

Karl-Heinz ist seit 35 Jahren glücklich verheiratet, seit drei Jahren Opa und liebt den Radsport, das Reisen (vor allem nach Frankreich), Brettspiele und liest für sein Leben gern. Er arbeitet als Arzt und ist mit 60 Jahren immer noch überzeugter Christ.

 

Artikel-Bildnachweis: Rike_ – gettyimages.de