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Wahrheit im Wandel
Was Künstliche Intelligenz mit uns macht

Mein Schwager zeigte mir vor Kurzem ein millionenfach verbreitetes KI-Video, das die negative Seite dieser Entwicklung erschreckend auf den Punkt bringt: eine junge Frau, gefesselt in einem Keller, blickt in die Kamera und sagt: „Opa, mir geht’s gut, das ist nur KI. Du musst niemandem Geld überweisen.“ Angedeutet wurde ein so genannter„Deepfake”, das ist ein mithilfe künstlicher Intelligenz manipuliertes Video, in dem echte Personen scheinbar Dinge sagen oder tun, die sie nie gesagt oder getan haben[1].
Auch Fake-News begegnen mir immer öfter. Im Zeitalter von Trump & Co löst eine Falschaussage kaum noch Empörung aus, sondern gehört schon fast zum medialen Alltag. Das verdeutlichen auch Umfragen, laut denen sich jedes Jahr mehr Menschen sorgen, ob Medieninhalte im Internet echt sind oder gefälscht (derzeit 59%)[2]. Damit sinkt natürlich auch das Vertrauen in klassische Nachrichtendienste, ebenso wie deren Nutzung.[3]
Was also kann ich glauben, wenn sich alles fälschen lässt? Wir stehen an der Schwelle zu einer Welt, in der sich Wahrheit und Täuschung nicht mehr ohne Weiteres auseinanderhalten lassen. Selbst jene, die KI-Entwicklungen aktiv verfolgen, kommen kaum noch hinterher.
Eine Welt voller Zweifel?
Die Geschwindigkeit, mit der sich KI gerade entwickelt, fühlt sich manchmal an wie Science-Fiction. Schon jetzt reichen einfache Texteingaben auf dem Handy aus, um immer realistischere Videos, Stimmen und sogar gefälschte Persönlichkeiten zu erzeugen. Bis 2030, so lese ich, könnten hunderte Millionen täuschend echter Fälschungen onlinekursieren. Jedes Foto, jede Videoaufnahme könnte manipuliert sein. Wahlkämpfe könnten überflutet werden mit künstlich erzeugten Skandalen und selbst echte Enthüllungen würden womöglich nicht mehr geglaubt.
Die Rolle der „guten KI“
Dieses Szenario, in dem niemand mehr irgendetwas glauben kann, wäre nicht lebbar. Und genau aus diesem Grund ist zu erwarten, dass der Flut an KI-Fälschungen eine Gegenbewegung folgt: KI-gestützte Systeme, die echte Inhalte verifizieren und Fälschungen entlarven. Je mehr uns also „böse“ KI bedroht, desto stärker werden wir uns auf „gute“ KI als neuen Anker des Vertrauens verlassen müssen.
Im Jahr 2024 etwa nutzte bereits rund ein Drittel der Jugendlichen ChatGPT, das derzeit beliebteste KI-Tool, als primäre Suchmaschine[4]. Sam Altman, CEO von OpenAI, sagte kürzlich über diese Generation: „Sie treffen eigentlich keine Lebensentscheidungen mehr, ohne ChatGPT zu fragen.“[5]
Wenn ich ehrlich bin, ertappe ich mich selbst manchmal dabei, dass ich komplexe Fragen lieber der KI stelle, anstatt selbst lange zu suchen. Diese Abhängigkeit entsteht schleichend, aber sie ist nicht neu. Schon Buchdruck, Fotografie und digitale Bildbearbeitung haben unser Vertrauen in Medien erschüttert. Und auch damals musste jede Generation lernen, mit den Neuerungen zurechtzukommen und unterscheiden zu können, was glaubwürdig ist.
Doch mit KI verändert sich nun etwas Grundsätzliches. Zum ersten Mal übertragen wir Verantwortung auf ein nicht-menschliches System, das womöglich klüger sein wird als wir selbst. Wir werden uns fragen müssen: Wem überlassen wir die Deutung der Wahrheit und was macht das mit uns?
Denn worauf wir unser Vertrauen gründen, prägt, wer wir sind. Und deshalb ist dieses Thema nicht nur gesellschaftlich relevant, sondern auch zutiefst spirituell.
Wahrheit finden in einer Welt voller Zweifel
Die Frage nach der Wahrheit ist keine Erfindung des digitalen Zeitalters, sondern wird seit Menschen gedenken gestellt. Auch in der Bibel taucht sie auf. Beispielsweise als der römische Statthalter Pilatus rund um die Verurteilung und Kreuzigung von Jesus fragt: „Wahrheit? Was ist das überhaupt?“ (Johannes 18,38 Hfa). Es scheint als wäre es keine echte Frage, sondern eher eine sarkastische, resignierte Feststellung, so als hätte er schon aufgegeben zu glauben, dass Wahrheit überhaupt existiert. Das kommt mir bekannt vor. In einer Welt voller Deepfakes und Halbwahrheiten ist es verständlich, dass viele Menschen ähnlich ratlos sind.
Für mich als Christ ist Wahrheit keine Theorie, kein Algorithmus oder System, sondern sie begegnet mir in der Person Jesus. In seiner Art zu lieben, zu leben, zu vergeben. Das wurde für mich zum ersten Mal greifbar, als ich mit Mitte 20 zum ersten Mal im engeren Freundeskreis mit Christen zu tun hatte. Da war eine selbstlose Nächstenliebe, eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Leben, mit Schmerz, Hoffnung und Verantwortung. Das war für mich ein Moment, in dem Wahrheit sichtbar wurde, sodass ich begann, mich mit der Bibel auseinanderzusetzen.
In der Bibel finde ich in der Aussage „Prüft jedoch alles und behaltet das Gute.“ (1.?Thessalonicher 5,21 Hfs) sogar eine Art Medienkompetenz, die dazu auffordert weder einfach blind alles zu glauben, noch zynisch zu werden und gar nichts mehr zu glauben. Unterscheiden, bewusst vertrauen und das Gute festhalten, wo ich es als solches ausmachen kann.
Fürchte dich nicht
Vielleicht fühlen Sie sich nach all dem ein bisschen überfordert und fragen, wie Sie in dieser Welt voller Täuschung, Deepfakes und halber Wahrheiten überhaupt noch klar sehen sollen. Das ist verständlich, denn einfache Antworten gibt es nicht.
Oft erinnert mich gerade mein Glaube daran, dass es im Leben um mehr geht als das, was gerade meine ganze Aufmerksamkeit fordert. Das lässt mich kurz innehalten, einen Schritt zurücktreten und fragen: Was ist gerade dran? Was ist wirklich wichtig? Das macht einen Unterschied. Es schenkt Ruhe, wo andere nur Lärm sehen. Hoffnung, wo vieles bröckelt. Und Orientierung, wo alles unklar scheint.
[1] Aktuell verdoppelt sich die Zahl neu auftauchender Deepfake-Videos etwa alle sechs Monate. 2023 wurden bereits rund 500.000 gefälschte Video- und Audioinhalte in sozialen Medien geteilt, bis 2025 könnten es über 8 Millionen sein.
[2] https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/digital-news-report/2024/dnr-executive-summary
[3] https://reporterzy.info/en/4736,decline-in-trust-in-media-analysis-of-the-reuters-digital-news-report-2024
[4] https://www.ofcom.org.uk/siteassets/resources/documents/research-and-data/online-research/online-nation/2024/online-nation-2024-report.pdf?v=386238
[5] https://qz.com/chatgpt-open-ai-sam-altman-genz-users-students-1851780458
- Wahrheit im WandelAudio-Datei zum Anhören des Artikels.

Autor: Sebastian Wöber
... ist Medienmann in Österreich und der Schweiz. Seine Leidenschaft ist es, durch kreative Videoprojekte Brücken zu bauen. Besonders fasziniert ihn die Frage, wie Glauben auch in einer digitalen Welt lebendig und authentisch kommuniziert werden kann.
Artikel-Bildnachweis: your_photo - gettyimages.de
