Artikel aus dem Hope Magazin

28.05.2021

Die Bibel gefragt

Warum wird die christliche Gemeinde in der Bibel auch als Familie Gottes bezeichnet? Ist Paulus familienfeindlich?

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Warum wird die christliche Gemeinde in der Bibel auch als Familie Gottes bezeichnet?

Im Neuen Testament taucht häufig der Begriff »Gemeinde« auf (griechisch ekklesia). Damit ist sowohl eine Gruppe von Menschen gemeint, die an Jesus glaubt als auch die Versammlung der Christen, ob in der Hausgemeinde, einem größeren Gebiet oder die Gemeinschaft aller Christen weltweit und zu allen Zeiten (Eph 5,25, 1 Kor 12,28). Um das Wesen von »Gemeinde« zu verdeutlichen, nutzten die Schreiber des Neuen Testaments gern Vergleiche. Beispielsweise Gemeinde als menschlichen Körper, um zu verdeutlichen, dass sie ein lebendiger Organismus ist (1 Kor 12,12–31). Oder Gemeinde als Haus oder Tempel – ein gemeinsamer Bau, an dem viele mitwirken und in dem Jesus der wichtigste Stein ist. Und sie wird als eine Familie bezeichnet (z. B. in Eph 2,19 NLB). Gott wird in der Bibel auch »Vater« genannt, und alle, die zu Jesus gehören, sind »Gottes Kinder« (Joh 1,12).

Gemeinschaft in einer intakten Familie gilt – abgesehen von einer Paarbeziehung – als die innigste Form des Zusammenlebens. Sie dient als Metapher für die Art von Gemeinschaft, die Gott mit den Menschen anstrebt und die gläubige Menschen untereinander idealerweise pflegen. Somit ähneln die Eigenschaften und Aufgaben der Gemeinde denen einer Familie, z. B. Anteil nehmen am Leben der anderen Familienmitglieder, gegenseitige Fürsorge und Verantwortung. Von den ersten Christen wird berichtet, dass sie »ein Herz und eine Seele [waren]; sie betrachteten ihren Besitz nicht als ihr persönliches Eigentum und teilten alles, was sie hatten, miteinander.« (Apg 4,32 NLB) Annahme und Geborgenheit erlebt zu haben, ist das Fundament, auf dem sich eine mündige, starke Persönlichkeit entfalten kann. Doch familiäre Konflikte und Meinungsverschiedenheiten müssen nicht automatisch zur Entfremdung führen, wenn man bereit ist, aufeinander zuzugehen, sich selbst zu hinterfragen und einander zu vergeben. Mittelpunkt der Gemeinde – der Familie Gottes – ist Jesus Christus, der uns durch sein Leben gezeigt hat, wie Gott wirklich ist. Wenn sich die Gemeinde an ihm orientiert, wird das Gemeindefamilienleben gelingen.

 

Ist Paulus familienfeindlich?

Wenn man in 1. Korinther 7 liest, wie Paulus Christen empfiehlt, alleinstehend zu leben und nicht zu heiraten, könnte man meinen, er wäre gegen Ehe und Familie, die doch sonst in der Bibel so hoch geschätzt werden.

Beachten wir aber den Kontext, in welchem Paulus seine Briefe schrieb. In der griechisch-römischen Welt und im Judentum war Heiraten keine vage Option, sondern ein Muss. Jede/r wurde bereits im Jugendalter verheiratet. Wer allein lebte – Witwen, Geschiedene, Arme, Kranke –, genoss geringes Ansehen und war sozial nicht abgesichert.

Der christliche Glaube revolutioniert die damalige Kultur, indem er sagt: Es muss nicht jeder heiraten. Das Neue Testament präsentiert erstmals zwei gleichwertige Lebensentwürfe: die Ehe ODER das Alleinleben. Da gibt es Johannes den Täufer, Jesus oder auch Paulus, die das gesellschaftliche Schema durchbrechen. Auf einmal gibt es eine zweite Option, wie man sein Leben sinnvoll und gottgefällig gestalten kann! 

Paulus hatte nichts gegen die Ehe, wie etliche weitere Texte in seinen Briefen zeigen. Er zeigt aber auf, dass auch das Singleleben Vorteile hat: Man ist ungebunden und dadurch flexibel. Für ihn als Apostel auf gefährlicher Mission war das wichtig. Wer allein lebt, wird sich seiner Abhängigkeit von Gott verstärkt bewusst und kann sich auf besondere Weise von Gott gebrauchen lassen. 

Paulus baut auf das auf, was Jesus bereits zuvor gesagt hatte, als er den verwunderten Jüngern erklärte, dass es Menschen gibt, die um ihres Glaubens willen bewusst ledig bleiben (Matthäus 19,10–12). Das Vorbild von Jesus und Paulus zeigt, dass Singles keine Menschen zweiter Klasse sind, sondern einen wichtigen Platz in Gottes Reich haben. 

In der Geschichte der Christenheit wurde das zölibatäre Leben zeitweise (fälschlicherweise) als Zeichen besonderer Heiligkeit verstanden. Heute passiert das Gegenteil: Ehe und Familie werden als das Nonplusultra betrachtet. Das Neue Testament zeigt uns, dass beide Lebensentwürfe gut sind und dass es angesichts der Ewigkeit letztlich gar nicht so wichtig ist, welchen Familienstand man hat (Matthäus 22,29–30; 1. Korinther 7,29–30).

Autor: Thomas Lobitz und Luise Schneeweiss

Artikel-Bildnachweis: Ilya Pavlov – unsplash.com