Artikel aus dem Hope Magazin
Ein Jahr Pandemie – und nun?
Vermutlich wird sich kaum jemand an ein Jahr mit so einschneidenden Veränderungen erinnern können, wie wir es 2020 erlebt haben.

Der gewohnte Lauf der Dinge — unser »nomales« Leben — wurden jäh unterbrochen und nachhaltig gestört. Es wird nie wieder so werden, wie es einmal war.
Wenn ich über die derzeitige Situation nachdenke, versuche ich zu vermeiden, in Nostalgie zu verfallen und frühere Zeiten zurückzuwünschen. Veränderungen sind völlig normal, nur erleben wir sie selten so massiv wie in diesem Jahr. Rückblickend auf dieses Jahr fällt mir auf, wie unterschiedlich Menschen mit diesen Veränderungen umgehen.
Für welche Reaktion hast du dich entschieden?
Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 war es in Österreich wieder erlaubt, in Baumärkten einzukaufen, wenn man eine Maske trug und unabhängig von der Größe des Einkaufs einen Einkaufswagen vor sich herschob. Vor der Kasse bildete sich eine lange Schlange, denn offenbar hatte nicht nur ich den Baumarkt vermisst. Von oben muss es ausgesehen haben wie das Muster einer Kette: Mensch, Einkaufswagen, Mensch, Einkaufswagen, Mensch, Einkaufswagen …, und ich mittendrin. Obwohl der Einkaufswagen für einen gewissen Mindestabstand sorgte, drehte sich mein Vordermann plötzlich um und blaffte mich an, ich solle den Mindestabstand einhalten.
Ein wenig später war es dann auch wieder möglich, miteinander Gottesdienst zu feiern. Beim Verabschieden erklärte mir eine Frau im Brustton völliger Überzeugung, dass es das Virus gar nicht gäbe, oder hätte ich es schon irgendwo gesehen?
Diese beiden Erlebnisse stellen die beiden extremen Pole dar, zwischen denen sich die möglichen menschlichen Reaktionen derzeit bewegen. Zwischen jenen, die alles sehr (und oft unhinterfragt) ernst nehmen und denen, die die Existenz des Virus leugnen und Profiteure hinter der Pandemie vermuten, gibt es eine große Bandbreite an Verhaltensmustern, für die Menschen sich entscheiden. Das Wort »entscheiden« habe ich bewusst gewählt. Denn wie wir auf einen Impuls von außen reagieren, passiert uns nicht, sondern ist das Ergebnis dessen, wie wir die Situation beurteilen. Für mich selbst bedeutet das, dass ich kritisch hinterfrage, welchen Informationen ich mich aussetze. Ich beobachte, was sie in mir auslösen, weil ich mich nicht treiben und fernsteuern lassen, sondern meine Reaktion bewusst wählen will.
Wem kann man (noch) glauben?
Ein ganz wesentlicher Lernschritt für mich war, als ich verstand, dass jegliche Informationen, seien sie jetzt der offiziellen Nachrichtenlinie treu oder kritisch gegenüber eingestellt, für mich nicht letztendgültig überprüfbar sind. Im Grunde muss ich immer glauben, was entweder offiziell von Verantwortungsträgern und Experten oder stattdessen von Querdenkern und widersprechenden Medizinern, Pastoren und sonstigen Welterklärern behauptet wird. Den Begriff »Welterklärer« meine ich keineswegs abwertend oder sarkastisch. Im Grunde versucht sich wahrscheinlich jeder Mensch einen Reim auf die Situation zu machen, einen Sinn in derzeitigen Geschehen zu finden. Und wer sich für ausreichend kompetent hält, seine persönliche Erklärung der ganzen Welt anzubieten, kann dies heute mithilfe sozialer Medien und frei verfügbarer Videokanäle leichter tun als je zuvor.
Weil ich den Anspruch an mich habe, ein kritisch denkender Mensch sein zu wollen, bringe ich es nicht fertig, einfach nachzuplappern, was mir ein anderer als sein Erklärungsmodell anbietet, egal von welcher Seite die Information kommt. Ich kann das Denken doch nicht anderen überlassen. Ich brauche keinen Guru, niemand, der mir sagt, wie ich die Dinge zu verstehen habe. Denn in den meisten Fällen ist es mir nicht möglich, zu überprüfen, wo sie Recht haben und wo sie daneben liegen.
Gottvertrauen wagen, Mündigkeit behalten
Wie also soll ich umgehen mit dem ganzen Theater, ohne in Lethargie zu verfallen, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun als ginge mich das Ganze nichts an? Wie komme ich zu einer sinnvollen Reaktion, wenn ich nicht einfach glauben kann, was von wem auch immer erzählt wird, weil mir als kleiner Mensch der Blick auf so vieles verwehrt ist? Man müsste schon Gott sein, um von höherer Perspektive her alles zu durchschauen.
Obwohl ich mich weigere, ohne Weiteres zu glauben, was Menschen mir erklären wollen, glaube ich an einen Gott, dem ich vertraue und folge. Er durchschaut alles und weiß, was wahr ist. Damit es uns leichter fällt, seinen Blick auf diese Welt zu verstehen und damit ein verlässliches Deutungsmodell zu bekommen, hat er Menschen dazu bewogen, aufzuschreiben, was sie von ihm gehört und mit ihm erlebt haben. Und er hat seinen Sohn Jesus in diese Welt kommen lassen, der mir Vorbild und Lehrer zugleich ist. So wie sich ein guter Lehrer nicht damit zufriedengibt, dass seine Schüler möglichst gut nachplappern, was er sagt, sondern ihnen eigenständiges Denken beibringen möchte, entwarf Jesus in einer spannenden Rede einen Denkrahmen, der mir hilft, das Zeitgeschehen zu verstehen und mich entsprechend sinnvoll zu verhalten.
Im Bibelbuch Matthäus verspricht Jesus, dass er wiederkommen und ein göttliches Reich aufrichten wird, in dem Gerechtigkeit die Grundlage für echten Frieden ist. Für gläubige Menschen ist das der Höhepunkt und das Ziel der irdischen Geschichte. Als Vorboten seiner Wiederkunft beschreibt Jesus unter anderem einige sogenannte »Zeichen der Zeit«, von denen wir viele heute wahrnehmen können: Naturkatastrophen, Hungersnöte, Kriege und auch Seuchen. Sie sind wie Wegweiser, die seine Ankunft ankündigen.
Zur Untätigkeit verdammt? Sicher nicht!
Nun könnte ich leicht in die Falle tappen, nur mehr gebannt auf diese Wegweiser zu blicken und weltentrückt und untätig zu hoffen, dass Jesus endlich kommt. Dem schiebt Jesus aber einen Riegel vor, weil er gleich danach drei Geschichten erzählt, in denen er beschreibt, worauf ich mich trotz der Turbulenzen in dieser Welt konzentrieren soll: in der ersten geht es darum, so eng mit Gott verbunden zu sein, dass wir zu »besseren« Menschen werden, also einen Charakter entwickeln, der nicht nur Gott gefällt, sondern unseren Mitmenschen und uns selbst guttut. In der zweiten vertraut ein Chef seinen drei Mitarbeitern einige Talente (Münzeinheit) an – ein Talent reichte damals, um ein Segelschiff zu kaufen – mit dem Auftrag, damit während seiner Abwesenheit zu arbeiten. Daraus leite ich für mich ab, dass ich meine Gaben und Fähigkeiten konstruktiv und sinnvoll nutzen soll. Dass hier keine egoistische Selbstverwirklichung gemeint ist, stellt Jesus in der dritten Geschichte klar: ein wirklich erfüllendes und sinnvolles Leben lebt derjenige, der ein offenes Auge für die Nöte anderer hat, dessen Herz sich davon berühren lässt, wenn jemand Hilfe braucht. An solchen Menschen, die zuhören, teilen, anpacken und Mut machen können, hat er seine helle Freude und will sie als Bürger seines Reiches haben.
Weil dieses Leben doch nicht alles sein kann, freue ich mich auf dieses Reich und weiß also, wie die Zeit bis dahin zu nutzen ist!
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Ein Service der Hope Hörbücherei.

Autor: Oliver Fichtberger
ist Ehemann einer faszinierenden Hebamme, Vater dreier Kinder und Generalsekretär einer Freikirche in Österreich. Er arbeitet gleichermaßen gern mit Worten und mit Holz.
Artikel-Bildnachweis: Orbon Alija – gettyimages.de