Artikel aus dem Hope Magazin

30.05.2024

Krankes Machtdenken

Ein starker König auf schiefer Bahn

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Er war ein stattlicher Mann, breitschultrig, einen Kopf größer als alle Männer im Land und ein wahrer Frauenschwarm. Er hatte einen scharfen Verstand, und was er anfasste, gelang ihm. Kein Wunder, dass er schon in jungen Jahren zum ersten König des Volkes Israel gewählt wurde!

Bis dahin waren die Menschen des Landes ein Spielball fremder Mächte. Sie wurden versklavt, verschleppt und ausgeplündert. Niemand wagte es, gegen Gewalt und Unrecht aufzustehen – bis das Maß voll war und den jungen König der Zorn packte. Er rief die Männer zu den Waffen, und alle folgten ihm. Sein Erfolg zeigte, dass er tatsächlich ein König war und das Recht hatte zu herrschen und zu regieren: Innerhalb weniger Stunden war das Heer der Angreifer dezimiert und in die Flucht geschlagen worden.

Auf die schiefe Bahn geraten

Sein Name war Programm: „Saul“ hieß er, „der Auserwählte“ oder „Erbetene“. Nach diesem Sieg stellte niemand mehr seine Wahl zum König infrage. Alle waren überzeugt, dass er wirklich der von Gott Auserwählte war. Saul eilte von Sieg zu Sieg. Alle jubelten ihm zu und verehrten ihn. Vielleicht stieg ihm das allmählich zu Kopf. Schließlich glaubte er, für das Volk Israel unersetzlich zu sein. 

Macht kann süchtig machen. Sie kann selbst intelligente Menschen verwirren und zu Narren werden lassen. Sie weckt in Menschen das starke Verlangen nach Autorität oder Kontrolle über andere, sei es in zwischenmenschlichen Beziehungen, am Arbeitsplatz, in der Politik oder in anderen Lebensbereichen. 

Das Streben nach Macht kann Menschen dazu verleiten, andere zu manipulieren, zu unterdrücken, zu missbrauchen und sogar zu ruinieren. Doch durch ungesundes und unangemessenes Verhalten schaden sie nicht nur ihren Mitmenschen, sondern letztlich auch sich selbst. Das alles merken sie meist nicht, denn Macht macht nicht nur süchtig, sondern auch blind.

„Von allen guten Geistern verlassen“

Saul war schließlich davon überzeugt, dass nicht einmal Gottes Regeln und Anweisungen für ihn galten. Der Prophet Samuel verkündete ihm daraufhin, dass er nicht länger König sein könne. Saul bat zwar um Vergebung, aber er meinte es nicht ehrlich. Im Grunde wollte er nur seine Machtposition nicht verlieren.

So geht es vielen Mächtigen, wenn sie sich falsch oder ungebührlich verhalten haben. Wenn sie überhaupt Reue und Einsicht zeigen, sind ihre Entschuldigungen wie bei Saul oft nur Lippenbekenntnisse. Im Grunde geht es ihnen darum, ihren Thron, ihren Chefsessel oder ihren Posten nicht zu verlieren. Deshalb kämpfen sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und oft mit harten Bandagen. Aber auch für sie hat das Konsequenzen.

Bald darauf wurde Saul depressiv. Voll dunkler Gedanken und Gefühle hockte er auf seinem Thron und starrte ins Leere. „Aber der Geist des HERRN wich von Saul, und ein böser Geist vom HERRN bedrängte ihn“, heißt es in der Bibel (1. Samuel 16,14). Die Aussage „ein böser Geist vom Herrn“ bedeutet nicht, dass Gott diese dunkle Stimmung geschickt, sondern dass er sie zugelassen hat.

Gottes Geist bewirkt Liebe, Freude, Frieden und viele andere positive Gefühle und Eigenschaften (Galater 5,22). Doch Saul wies ihn bewusst ab und musste sich nicht wundern, dass plötzlich Hass, Depression und Unfriede sein Leben bestimmten. Doch anstatt sich selbst, seine Überzeugungen sowie sein Verhalten infrage zu stellen und umzudenken, stürzte er sich nur noch tiefer ins Verderben.

Er ließ unschuldige Menschen ermorden, weil sie angeblich seinem späteren Nachfolger David geholfen hatten. Auch wenn er zeitweise Lichtblicke hatte und seine Schuld einsah, fiel er immer wieder in sein altes, krankes Machtdenken zurück. Das zerstörte schließlich sein Leben.

Es geht auch anders

David, der Nachfolger Sauls auf dem Königsthron, hatte aus dem Schicksal seines Vorgängers gelernt. Auch er machte Fehler und überschritt manchmal die Grenzen seiner Macht, aber er ließ sich von Gott und seinen Mitmenschen korrigieren. David fragte sich oft, wo er stand und was er ändern musste.

Er erkannte, wie leicht seine Machtposition sein Verhalten, Denken und Fühlen beeinflussen konnte. Er setzte sich selbst Grenzen und überprüfte regelmäßig, ob er noch im Einklang mit seinen Werten und Prinzipien stand. Letztendlich wurde David ein erfolgreicher und beliebter König, weil er selbstkritisch war und sich von Gottes Geist leiten ließ.

 

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Autor: Siegfried Wittwer

Pastor i. R., ehem. Leiter des Internationalen Bibelstudien-Instituts

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