Artikel aus dem Hope Magazin
Kreuzundquer über die Jahre
viel mehr als nur eine Suppenküche

Angefangen hat alles vor mehr als 30 Jahren mit einer persönlichen Lebenskrise. Rudi, der Initiator und noch immer Motor unserer Suppenküchenarbeit, hätte den Heiligabend eigentlich allein verbringen müssen. So zog er kurzerhand durch die Innenstadt Hannovers und lud Menschen von der Straße ein. Mit fünf Taxis und seinem eigenen PKW fuhren sie in die Adventgemeinde Fischerstraße, bestellten Pizza und Getränke und erlebten ein unglaubliches Weihnachtsfest. Sein Herz war berührt. Die Menschen und ihre Lebensgeschichten haben ihn seitdem nie wieder losgelassen.
In der örtlichen Adventgemeinde gab es schon zuvor eine gut besuchte Suppenküche, die nun von Rudi übernommen wurde. Seitdem werden jeden Mittwochnachmittag von November bis März wöchentlich bis zu 70 Gäste beköstigt. Beim Weihnachtsessen sind es auch mal 90 – da geraten wir an unsere Grenze und es heißt »ausgebucht« oder vielleicht doch noch ein Essen to go?
Wozu das Ganze?
Mit unserer Suppenküche bieten wir zuallererst den Ärmsten in unserer Stadt eine warme Mahlzeit an. Meist sind das zwei unterschiedliche Suppen, um die es einen regelrechten Wettstreit unter den Köchen gibt. Diejenige, die zuerst aufgegessen wurde, ist die beste, und heimst das meiste Lob ein. Hier gilt nicht das Motto »Viele Köche verderben den Brei«, nein, durch das gemeinschaftliche Kochen wird erst die richtige Würze mit hineingebracht. Jede Suppe wird frisch zubereitet, vor Ort das Gemüse geschnippelt. Die Küchenarbeit ist wohl von all unseren Aktivitäten am herausforderndsten. Hier muss richtig angepackt werden – vom Großeinkauf mit mehreren Einkaufswagen, dem Zubereiten der Speisen, Tischdecken, Verteilen des Essens und einem riesigen Abwasch. Da wird jede Hand gebraucht und es kann auch mal laut zugehen. Eifersüchteleien, Neid und (meist) kleinere Auseinandersetzungen, die Angst zu kurz zu kommen – all das taucht auch bei uns auf und will sensibel und gut gehändelt werden. Da war es teilweise sogar erholsam, als zu Coronazeiten die Besucherzahlen mehr als halbiert wurden. Plötzlich so leise, so friedlich. Doch: kein Nachteil ohne Vorteil.
Speise für Leib und Seele
Neben der leiblichen Speise ist uns die Speise für die Seele wichtig. Angeregt durch die etwa zehnminütigen christlichen Impulse für alle Gäste äußerten einige den Wunsch, sich intensiver mit der Bibel auseinanderzusetzen. Schnell war ein Bibelkreis geboren sowie etwas später auch unsere gästeorientierten Gottesdienste.
Neben Rudi und mir, seiner Ehefrau, holten wir noch ein paar unserer Freunde mit ins Boot: Heike und Lutz, Marianne und Markus, Maja, Jutta und Joachim und zuletzt noch Lena. Wir bilden das Kernteam und haben den gemeinnützigen Verein kreuzundquer – Verein für ein christliches Miteinander e. V. gegründet. Wir sind über die Jahre zu einer lebendigen Keimzelle herangewachsen, in der einer den anderen kennt und wir uns ergänzen. So manche Krise haben wir gemeistert, Durststrecken überwunden und uns gegenseitig gestärkt.
Gemeinsam legen wir unsere Jahresaktivitäten fest und planen nach Bedarf auch ganz schnell mal um. Es gibt die Suppenküche, die Lebensmittelausgabe, manchmal auch eine Kleiderausgabe, den Bibelkreis, Gottesdienste, besondere Aktionen wie Ausflüge – vorzugsweise Bus- und Bootsfahrten, da unsere Gäste meist nicht so gut zu Fuß sind.
Einmal im Monat: kreuzundquer-Gottesdienst
Einmal im Monat über das ganze Jahr hinweg finden am Samstagnachmittag unsere kreuzundquer-Gottesdienste statt, die wir auch über die Corona-Krise hinweg fast ununterbrochen anbieten konnten. Sie sind zwar besonders auf unsere Gäste ausgerichtet, doch hier ist jeder willkommen. Hier steht Gottes Liebe im Mittelpunkt, das menschliche Miteinander, gegenseitige Achtung und Wertschätzung und was Gott damit zu tun hat. Wir versuchen, ansprechende Mottos zu finden wie »Wozu? – Weshalb? – Warum?«, »Mach mal Pause«, »Schau mir in die Augen, Jesus« oder »Highway to Heaven«. Jedes Thema wird durch ein Anspiel, eine erzählte Geschichte, einen Videoclip oder eine gemeinsame Aktion veranschaulicht. Auch für passende Musik ist gesorgt, wenn neben Klavier und Gitarre die Percussion-Instrumente an unsere Gottesdienstbesucher ausgeteilt werden. Die Vorbereitung ist jedes Mal ein kreativer Prozess mit Freude und Spaß, mit lebhaften Gesprächen und meist zahllosen Ideen. Auch viel Gebet ist dabei.
Ein bunter Kreis an Helfern und Unterstützern
Diese Arbeit ist von uns als Team natürlich nicht allein zu schaffen. Es gibt so viele, die uns unterstützen. Da sind zunächst einmal diejenigen, aus dem Kreis der Gäste, die zu uns stießen, als wir in einem Jahr so wenige Helfer waren, dass wir einen Aufruf gestartet haben. Und nun sind 10 – 15 »Gäste« regelmäßig und zuverlässig mit dabei – und haben einen kleinen Vorteil. Sie dürfen bei der Lebensmittelausgabe als erstes auswählen.
Viele Rentner / innen sind unter uns, der ein oder andere Pastor und auch junge Leute haben uns tatkräftig unterstützt. Genauso auch ein paar Mädchen, die im Rahmen ihres Religionsunterrichts (ähnlich der Konfirmation) etwas ganz Praktisches tun wollten. Und dann ist da noch der Student aus der Nachbarschaft, der eigentlich nur ein Paket abholen wollte und jetzt mitmacht, wann immer er kann. Nicht zu vergessen der Gastwirt, der seit vielen Jahren unser Weihnachtsessen spendiert – 100 Portionen Gänsekeulen, Rotkohl und Klöße vom Feinsten. Ein echtes Geschenk des Himmels!
Ein weiteres Geschenk ist die Unterstützung eines ehemaligen Sozialarbeiters, der neben einem offenen mitfühlenden Ohr ganz professionelle Lebensberatung anbietet – zum Beispiel bei Auseinandersetzungen mit Behörden, Gerichten oder bei Wohnungslosigkeit.
Durch Rudis Verbindungen als Zahnarzt steht in den Wintermonaten außerdem einmal im Monat das hannoversche Zahnmobil vor der Tür, das von der Zahnärzteschaft Hannover initiiert wurde. Hier werden auch Patienten behandelt, die keine Versicherungskarte vorweisen können.
Wir nutzen alle Fähigkeiten, die sich uns bieten, denn unser Motto lautet: jede / r kann mithelfen nach eigener Begabung und eigenem Vermögen.
Immer wieder ist besondereKreativität gefragt
Als wir im März 2020 wie alle sozialen Einrichtungen ebenfalls schließen mussten, hatten wir die Idee des Gabenzauns, der über mehrere Wochen täglich mit gut gefüllten Lebensmittelbeuteln bestückt und bewacht wurde, um Missbrauch vorzubeugen.
Im Januar dieses Jahres kam die Idee auf, die Bedürftigen vor Ort aufzusuchen. Der Probelauf mit Einkaufstrolleys, ausgedientem Kinderwagen und geliehenem Bollerwagen öffnete unsere Augen für die Not der Menschen im Stadtzentrum Hannovers. Wir kamen an Orte tiefsten Elends, wir sahen in Gesichter, die vom Leben auf der Straße, von Alkohol und Drogen gezeichnet waren. In Erinnerung blieben aber vor allem Menschen, deren Augen trotz ihrer Not voller Dankbarkeit leuchteten. Diese Aktion wollten wir unbedingt weiterführen und so besorgten wir Bollerwägen und ließen uns Westen mit unserem Kreuzundquer-Logo bedrucken. Mittlerweile sind wir »die Gelbwesten von Hannover« und stadtbekannt. Die Menschen kommen auf uns zu oder laufen uns sogar hinterher, um auch eine Tüte abzubekommen. Überall schauen wir in freundliche Gesichter und erleben so viel Dankbarkeit. Auch bei den Ordnungskräften. Und manche, die diese Aktion mitbekommen, drücken uns sogar Geld in die Hand.
Große Unterstützung erhalten wir auch von Spendern aus der Adventgemeinde und von Freunden. Ohne sie und ohne alle fleißigen Helfer / innen wäre diese Arbeit nicht möglich. Ihnen allen gilt unser Dank. Von Herzen danken wir Gott, der uns reich beschenkt mit Ideen, Ausdauer, Freude und Gemeinschaft.
Wir haben erfahren und erleben es noch, wie herausfordernd aber auch erfüllend es ist, sich für andere einzusetzen, und dass ein nettes Wort, eine warme Mahlzeit und ein offenes Herz Menschen berührt und verändert
- Artikel anhörenDer Artikel ist auch in gesprochener Form verfügbar!
Ein Service der Hope Hörbücherei.

Autor: Gudrun Haag
Jahrgang 60, engagiert sich gern sozial und kirchlich, verheiratet, 3 Söhne, 3 Schwiegertöchter und 5 Enkelkinder.
kreuzundquer – Verein für ein christliches Miteinander e. V.
Artikel-Bildnachweis: South_agency – gettyimages.de