Artikel aus dem Hope Magazin

01.09.2022

SCHÖNER WOHNEN – STADT, LAND, BUS

»Neben dem Wohnort, sollte man auch die Gemeinschaft im Blick haben, in die man sich begibt.«

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Es ist mal wieder soweit: Wir ziehen um. Zum siebten Mal seit unserer Hochzeit. Und zwar so weit weg, dass man wieder ganz neu anfangen muss. Ganz ehrlich, so unbedingt Freude macht uns das nicht, obwohl wir schon einige Erfahrung damit haben. Wir haben mittlerweile viele Landstriche bewohnt: das staubige Revier tief im Westen, das trübe Sauerland, die Studentenstadt Heidelberg, das Innviertel in Oberösterreich, den tiefen Wald in Sachsen-Anhalt, das Fils- und Remstal im schwäbischen Ländle und dann die Filderhöhe. Jetzt geht es in die gefühlte Mitte Deutschlands an die hessische Bergstraße. Also Koffer packen und die Möbel noch dazu und ab ins neue Leben. Ein kleines Erdbeben, das unseren Alltag zunächst mächtig erschüttert. 

Nichts wie weg

Umzüge sind heute keine Seltenheit mehr. Im Durchschnitt ist jeder Deutsche in seinem Leben 4,5-mal umgezogen. Über neun Millionen Deutsche ziehen jährlich um. Viele davon haben private Gründe und kommen ohne Spedition aus. Dabei ist der Sommer der beliebteste Umzugszeitraum. Neben vielen organisatorischen und anderen Nervereien haben Studien gezeigt, dass Umzüge auch Vorteile haben. Denn viele nutzen die Gunst der Stunde und Entrümpeln gleich noch mit. Nicht umsonst heißt es: Dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt. Außerdem wirkt sich die Mobilität auf die Persönlichkeit aus und macht den Menschen selbstsicherer, freier und hilfsbereiter. Man lernt, über seinen Gartenzaun zu schauen und den eigenen Standpunkt zu relativieren.

Der Traum vom Haus

Und dazu kommt die Frage, wo man denn leben will? In einer Wohnung oder in einem Haus? Mieten oder kaufen? In der Stadt oder auf dem Land? Heftige Diskussionen entbrennen stets darüber, wie sinnvoll die lebenslängliche Verschuldung für die eigenen vier Wände ist, die einem, wenn die Kinder aus dem Haus sind, ja doch viel zu groß werden. Neuerdings wird von „Wohnscham“ gesprochen – analog zur „Flugscham“. Manche Wohnwissenschaftler sind der Meinung, dass das eigene Haus als Ikone des Glücks völlig überbewertet wird. 25 Quadratmeter pro Person würden völlig ausreichen. Auch ökologisch gesehen seien Mehrgenerationenprojekte sinnvoller.

Neben dem Wohnort, sollte man auch die Gemeinschaft im Blick haben, in die man sich begibt. Wohnen beinhaltet in den meisten Fällen nämlich auch Nachbarschaft. Und die kann einem manchmal wahrlich das Leben zur Hölle machen. Da haben wir auch schon viel erlebt: innige Klavierübungen zur Schlafenszeit, dauerbellende Hunde, gesteigerter (oder einfach schwäbischer) Putzfanatismus im Treppenhaus, ein Siebenschläfer im Dachstuhl über dem Schlafzimmer, passionierte Raucher, Omas mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder pubertierende Teenager, die lautstark Familienfehden anzetteln. Manches ließ sich auch mit Geduld nicht lösen und der Spruch „Liebe deinen Nachbarn, aber reiß den Zaun nicht ein“ ist goldwert.

Landleben

Landflucht war einmal. Ganz aktuell ist heute die Stadtflucht. Gerade durch die Pandemie verstärkt, zieht es junge Leute und Familien wieder zurück aufs Land. Durch das Homeoffice werden Möglichkeiten geschaffen, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren. Jetzt kann man in der Niederlausitz wohnen und einmal die Woche nach Dresden ins Büro fahren. Draußen stehen die alten Häuser und Höfe, die man günstig erwerben und nach eigenen Vorstellungen renovieren kann. Viele Magazine wollen uns das Landleben schmackhaft machen und locken mit großformatigen Bilderstrecken. Sie zeigen ein Idyll mit Bauerngarten, Fachwerk und freilaufenden Hühnern im rosagefärbten Licht des Sonnenuntergangs. Doch Achtung, das Dorfleben kann auch beengen. Schon Oscar Wilde wusste, dass man in der Stadt zu seiner eigenen Unterhaltung lebt, auf dem Lande jedoch zur Unterhaltung der anderen. Ganz zu schweigen von der Mobilität. Der letzte Bus fährt da um 18 Uhr.

Dekor oder Komfort

Und wie sieht es drinnen aus? Egal ob eigenes Haus oder zur Miete, drinnen ist man der Herr im Haus, oder auch die Königin des Chaos. Wie gestaltest du deine Innenräume? Hier kann man sich ja voll ausleben: barocke Tapete, kunstvolle Stuckdecke, Schiebetüren und Kamin. Manche stehen auf Antiquitäten oder Erbstücken, andere auf Kitsch oder Reiseandenken in den Regalen. Gibt es Gemälde über dem Sofa vom röhrenden Hirsch oder moderne Kunstdrucke von Beuys? Ich bin mit Caspar David Friedrichs „Kreidefelsen von Rügen“ und dem ausgeblichenen Dachsschädel „Eddie“ aufgewachsen, vor dem sich meine Klassenkameraden immer etwas gefürchtet haben. Der Geschmack entscheidet und die Balance zwischen Komfort und Dekor zu finden ist eine ganz persönliche Angelegenheit. 

Doch was auf keinen Fall passieren sollte ist, den Überblick zu verlieren. Das passiert schneller als einem lieb ist. Jeder Deutsche besitzt mehr als 10.000 Dinge. Da heißt es, ein gutes Ordnungssystem zu etablieren. Außerdem reduzieren, verschenken oder versteigern. Wer das nicht schafft, endet im Chaos. Als Opa gestorben ist, haben wir hunderte von Plastiktüten entsorgen müssen. Die Oma hortete meterweise Kitsch-Zeitschriften hinter dem Vorhang. Klingt lustig, ist es aber nicht. Mein Vorbild sind ehemalige Nachbarn, die bewusste Minimalizer waren, und als 4-köpfige Familie mit 20 Bananen-Kartons (!) umgezogen sind.

Wohn(t)raum 

Viele machen sich da wenig Gedanken, dabei würde es sich lohnen, einmal die eigene Wohnsituation kritisch zu reflektieren. Habe ich zu wenig oder zu viel Wohnraum? Fühle ich mich wohl? Wie viel Ordnung muss sein? Will und kann ich mich für das Eigenheim verschulden und örtlich binden? Wie städtisch möchte ich leben, oder möchte ich das Landleben mal ausprobieren? Wir als Familie haben Argumente abgewogen und uns schließlich für eine überschaubare 3-Zimmer-Mietwohnung am Rande des Odenwaldes entschieden. Warum? Wir mögen es grün und hier haben wir kurze Wege ins Büro, in die Schule und in die Kirchengemeinde. Das können wir prima laufen, verbessern so unseren ökologischen Fußabdruck und brauchen keine Busfahrpläne zu studieren.

 

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Autor: Claudia Mohr

ist ausgebildete Siebdruckerin, Arbeitserzieherin, Gesundheitsberaterin, Sozialpädagogin und Pastorenfrau. Sie lebt mit ihrer Familie in Darmstadt.