Artikel aus dem Hope Magazin
Und irgendwo stirbt grad ein Kind
Es ist mal wieder ein Lied, das mir beim Thema Gerechtigkeit einfällt, weil es auf wenigen Zeilen sowohl treffende als auch poetische Worte findet.

Es sind Worte, die mich bis heute berühren, obwohl ich das Lied schon sehr oft gehört habe.
Ich weiß, es provoziert und tut weh, wenn es da heißt: „Und irgendwo stirbt grad ein Kind. Ich bin mir sicher, Gott ist blind. Ich hätt so gern an ihn geglaubt, doch Gott ist blind, Gott ist taub.“ Mit diesem Vorwurf werden vor allem Christen leider häufig konfrontiert. Wie kannst du an einen Gott glauben bei all dem Leid, den Kriegen, den Toten? Wenn es ihn gäbe, müsste er doch eingreifen! Die eigene Ohnmacht lässt nach einer höheren Instanz verlangen, ob man selbst nun religiös ist oder nicht. Hauptsache, das Problem abgeben, entlastet sein.
Manche Leben nur für Siege
Doch das Lied bleibt nicht auf der Gott anklagenden Seite stehen, sondern wirft im zweiten Schritt einen Blick auf uns Menschen, denn, hey, wir tragen ebenfalls Verantwortung für das, was auf der Erde vor sich geht, wir stehen ebenfalls in der Pflicht. Wie also ist es um unser Seh- und Hörvermögen bestellt? Ja, da gibt es jene, die aktiv werden, die helfen wollen – „Menschen spenden eine Niere“ – und andere, denen es in erster Linie ums eigene Recht geht – „manche leben nur für Siege“. Der Sänger konstatiert nüchtern: „Gott ist blind – ich glaub, wir auch.“
Mir gefällt, dass der Textautor uns Menschen in diese Theodizee-Frage einbezieht. Gott die Verantwortung zuzuschreiben, ist leicht, doch sind nicht viel mehr wir das Problem? Wo liegen meine blinden Flecke? Wo drücke ich ein Auge zu, weil es bequemer ist, wo überreagiere ich völlig, weil mir etwas oder jemand gegen den Strich geht und es doch nur gerecht wäre, wenn…! Der eigene Gerechtigkeitssinn ist eben doch sehr subjektiv.
„Auge um Auge, und irgendwann sind alle blind“, heißt es gegen Ende des Liedes. Es klingt wie eine Warnung. Wenn wir das für gerecht halten und zu unserer Handlungsmaxime erklären, verlieren wir Stück für Stück unsere Sensibilität, unser Mitgefühl, unsere Menschlichkeit. Dann wird es tatsächlich egal, wenn irgendwo grad ein Kind stirbt.
- Und irgendwo stirbt grad ein KindAudio-Datei zum Anhören dieses Artikels.

Autor: Nicole Spöhr
liebt Musik, vor allem, wenn sie jenseits von weichgespült-rosarot gut & kreativ getextet ist, Fragen aufwirft und in die Tiefe geht.