Artikel aus dem Hope Magazin
Vom Herunterleiern und anderen No-Gos
Ein paar Gedanken zu einem Thema, über das man ganze Bücher schreiben könnte
Viele deutsche Wörter und Begriffe stammen aus dem Griechischen (z. B. „Ball“) oder aus dem Lateinischen (z. B. „Keller“) sowie aus anderen Sprachen (z. B. „Sofa“ und „Kaffee“ aus dem Arabischen). „Beten“ ist dagegen ein altgermanisches Wort. Unsere Vorfahren verstanden darunter das Gespräch mit den Göttern.
Wie ein solches Gespräch aussehen soll, darüber gibt es in allen Völkern unterschiedliche Vorstellungen. Auch die Christen sind sich in dieser Frage nicht einig, und manch einer weiß gar nicht, wie er mit Gott ins Gespräch kommen soll.
Die Form
In Kirchen und zu besonderen Anlässen werden beispielsweise vorformulierte Gebete vorgetragen: Wohlklingende Worte, rhetorisch ansprechend formulierte Sätze, tiefsinnige Gedanken mit Sprachbildern, die Emotionen wecken sollen. Unwillkürlich drängt sich der Verdacht auf, dass solche Gebete nicht an Gott gerichtet sind, sondern die Zuhörer beeindrucken sollen.
Kein Wunder, dass sich manche Christen scheuen, in der Öffentlichkeit zu beten. Mit solchen Sprachkunstwerken können sie nicht mithalten. Und vor anderen wollen sie sich mit ihren einfachen Gebeten nicht blamieren. Deshalb schweigen sie lieber und überlassen das Beten den Wortgewandten.
Das ist nichts Neues. Schon zur Zeit Jesu gab es Menschen, die durch öffentliche Gebete ihre Frömmigkeit und Bildung demonstrieren wollten. Dabei ging es nicht mehr um das Gespräch mit Gott, den Gedankenaustausch mit ihm und die Klärung von Lebensfragen, sondern um die theatralische Darstellung der eigenen Person und der eigenen Leistungen.
Dann gibt es die Dauerbeter, deren Gebete kein Ende finden. Die ohne Punkt und Komma alles vor Gott bringen, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Wenn sie endlich beim Amen angekommen sind, wagen die Wortkargen oft kein weiteres Gebet mehr. Was soll man auch noch bitten, wenn schon alles gesagt ist? Jesus hat uns doch abgeraten, viele Worte zu machen.
Der Inhalt
Wenn Menschen mit Gott reden, sind sie oft nicht ehrlich. Sie beten zum Beispiel im Vaterunser: „Dein Wille geschehe!“ Aber meinen sie das wirklich? Wollen sie nicht vielmehr, dass Gott für sie alles so ordnet, wie sie es sich vorstellen? Wenn Gott dann ihr Gebet erhört und tatsächlich sein Wille geschieht, dann sind sie oft sauer oder deprimiert.
Überhaupt, das Vaterunser. Es wird immer wieder gebetet, millionenfach, jeden Tag. Manchmal endlos aneinandergereiht, wie mit der Gebetsmühle heruntergeleiert. Warum eigentlich? Wollen wir Gott damit überreden, uns endlich zu erhören und das zu tun, was wir wollen oder uns zumindest wünschen?
Der Hit der Gruppe ABBA: „Gimme! Gimme! Gimme!“ aus dem Jahr 1979 bringt es auf den Punkt: „Gib mir! Gib mir! Gib mir!“ Da wird Gott zum Automaten degradiert, der immer perfekt funktionieren muss: Gebet einwerfen und sofort kommt die gewünschte „Ware“ heraus. Und wenn Gott nicht mitspielt, ist mancher sauer und deprimiert oder wirft seinen Glauben in die Tonne. Natürlich will Gott uns helfen, beistehen und ermutigen. Aber er ist weder ein Befehlsempfänger noch eine Zauberfee, die alle Wünsche erfüllt.
Das Gespräch
Hat Jesus nicht genau erklärt, wie man mit Gott reden soll? Kein ständiges Herunterleiern der immer gleichen Worte, kein vorgeschriebener Text, keine heilige Formel, um Gott besser beeinflussen zu können! Das Vaterunser ist nur ein Mustergebet, das uns helfen soll, Gott unsere tiefsten Gedanken und Gefühle mitzuteilen.
Beten ist ein Gespräch mit unserem Vater! Er hat uns das Leben geschenkt. Er möchte, dass es uns richtig gut geht. Und weil er uns so sehr liebt, will er, dass wir für immer bei ihm sein sollen! Er kennt uns besser, als wir uns selbst kennen. Er weiß, was wir uns wünschen, was uns beschäftigt und was für uns wichtig ist. Wir brauchen keine hochtrabenden Worte, keine frommen Formeln, keine endlosen Wiederholungen, wenn wir mit ihm im Gebet reden.
Ein gutes Gespräch braucht Offenheit, Ehrlichkeit und gegenseitigen Respekt. Wir sprechen mit Gott über alles, was uns bewegt: unsere Gedanken, Gefühle, Hoffnungen, Enttäuschungen, Wünsche und Ziele. Wir bitten ihn, uns durch sein Wort und seinen Heiligen Geist zu zeigen, was ihm wichtig ist und wie er bestimmte Dinge sieht. So kommen wir in den Austausch mit ihm und beginnen zu verstehen, wie er uns führen möchte – ein unglaubliches Erlebnis! Ein solches Beten wird unser Leben verändern – und zwar zum Positiven! Denn alles andere können wir getrost vergessen
- Hope Magazin September - November 2024Das aktuelle Magazin
Autor: Siegfried Wittwer
Pastor i. R., ehem. Leiter des Internationalen Bibelstudien-Instituts
Artikel-Bildnachweis: stockcam – gettyimages.de