Artikel zum Thema "Kolumne"

01.06.2022

Eines Tages werden wir sterben ...

an allen andern Tagen nicht

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Es ist mal wieder ein volles Wochenende. Mein Opa hatte seinen 88. Geburtstag und will in kleinem Familienkreis feiern, was bei mir schon gut 15 Leute bedeutet. Am Samstagmittag geht es mit großem Buffet los, wir essen, lachen, spielen, mein Opa, der Musik über alles liebt, bekommt ein Ständchen und der Tag vergeht wie im Fluge. Ob das jetzt die richtige Entscheidung war, trotz des Virus‘ in dieser Runde zusammen zu sein? Am Sonntag geht es wieder nach Hause, fix umziehen und dann zum Italiener, bei dem mein Mann und ich mit Freunden verabredet sind. Das Essen schmeckt fantastisch und wir unterhalten uns über alle möglichen Themen. Der Krieg in der Ukraine gehört auch dazu. Wie unsinnig sind solche militärischen Auseinandersetzungen und wohin soll uns das noch alles führen? Und wir sitzen in einem gemütlichen Res-
taurant und lassen es uns gut gehen. Ein wenig nagt das schlechte Gewissen, im Hinterkopf spielt sich ein regelrechter Schlagabtausch der Rechtfertigung ab zwischen „Was soll man schon machen?“ bis „Was nicht alles schon gemacht wird!“ 

Wieder schält sich die Erkenntnis heraus, dass die Welt voller Widersprüche ist, dass Gutes und Schlechtes immer parallel existieren. Wo stecke ich Herz und Tatkraft rein und wo möchte oder muss ich damit leben, keinen Einfluss nehmen zu können? Um diese Spannung geht es in dem Lied „An allen andern Tagen nicht“. Kurz aufeinanderfolgend gab es zwei Todesfälle im engen Freundeskreis der Bandmitglieder, die Frontmann Sammy Amara hier verarbeitet. Er beschreibt, wie er der Trauer und dem Gefühl des Ausgeliefertseins bewusst Raum gibt, um sich dann wieder dem Leben zuzuwenden. Die Strophen verdeutlichen, dass es weder hedonistisch noch zynisch gemeint ist, wenn er singt „Eines Tages werden wir sterben, an allen andern Tagen nicht“. Es ist die Entscheidung, diese Spannung zwischen Gut und Schlecht bewusst zu leben, ohne sich aufzureiben; sich am Schönen zu erfreuen, das Leben positiv zu gestalten und trotzdem wahrnehmen und mitfühlen, wo Menschen es gerade schwer haben. Und es ist ein Appell, sich darüber klar zu werden, was das Wort „lebenswert“ für einen bedeutet, eben weil wir so vieles, das passiert, nicht beeinflussen können.

Lebe, du stirbst.

Bild vom Autor zum Weblog Eines Tages werden wir sterben ...

Autor: Nicole Spöhr

liebt anspruchsvolle Texte, die Fragen aufwerfen, und freut sich auf einen satten, sonnigen Konzertsommer.

Artikel-Bildnachweis: Albert Gruber