Artikel zum Thema "Kolumne"
Kolumne
Von ohrenbetäubender Stille und geschenkter Ruhe
Aus allen Kanälen schallert es mir um die Ohren: Achtsamkeit, Selfcare, Sabbatical! In den schönsten Verpackungen kommen sie daher, ob als Schweigefreizeit im Kloster, Self-Retreat auf den Balearen oder Meditationsapp auf dem Smartphone. Alle wollen nur, dass mein gestresster Körper und meine überreizte Seele zur Ruhe kommen. Wenn ich nur ein wenig (oder gern auch etwas mehr) Geld in die Hand nehmen würde, könnte ich sie also dort finden, diese sagenumwobene, heilsame und lebensverändernde Stille.
Inmitten des alltäglichen Grundrauschens als berufstätige Ehefrau und Mutter eines Kleinkindes müsste doch spätestens jetzt jeder Trigger bedient sein und alles in mir rufen: „JA, ich will!“ Aber alles, was ich dazu in mir wahrnehme ist: „Boah, ne – jetzt sagt ihr mir nicht auch noch, dass das dran wäre!“ Mich versetzt der äußere Ruf zur Besinnung, zur Ruhe unter extremen Stress und ich fühle, wie sich alles in mir dagegen wehrt, nun auch noch diese Erwartung auf meine selbstannehmende, work-life-balancierende und achtsame To-do-Liste zu setzen. Ich bin nicht bereit für eure Stille, denn wo Stille ist, ist Stillstand und der ist in meiner Welt, in meiner Wahrnehmung nicht vorgesehen – sogar unerwünscht. Ich will doch MACHEN!
Und da sitze ich nun über diesem Text, hör in mich hinein, lausche der Stille zwischen dem Tippen der Buchstaben auf meiner Tastatur und erkenne eine Ruhe, die sich so ganz ungezwungen aufdrängt, die keine Erwartung von draußen an mich ist, die mir ein Geschenk sein will.
Innezuhalten. Die Tastatur langsamer klappern zu lassen. Durchzuatmen.
Meine Gedanken auf die Reise in mein Inneres zu schicken. Den Wunsch nach einem Kaffee zu spüren. Und zu fühlen, dass es kein Konzept braucht, keine Verpackung, kein Angebot und keine dröhnende Erwartung von außen – sondern die pure Annahme, Stille auch im Kleinen finden zu dürfen – mich mitten im trubeligen Alltag in der Ruhe zu wissen, dass es manchmal nicht viel mehr braucht, als sich bewusst beim Atmen zu lauschen und leise zu fragen „Hey du, was brauchst du grad?“.
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Autor: Annegret Hartlapp
gönnt sich nach der Übersendung des Textes genau diesen Kaffee und wird auch im Grundrauschen der Kaffeemaschine hoffentlich einen Moment der Ruhe finden, um dann wieder Alltag zu machen.
Artikel-Bildnachweis: Albert Gruber